Aufführung im Zelt:Von unbändiger Wucht

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Das Laientheater Icking feiert mit Wajdi Mouawads Stück "Verbrennungen" Premiere. Dem Ensemble gelingt es, die Spirale aus Mord und Vergewaltigung eindringlich auf die Bühne zu bringen

Von Konstantin Kaip, Icking

Manche Wahrheiten sind schwer zu ertragen. So schwer, dass man sie nicht einfach sagen kann. "Es gibt Wahrheiten, die nur unter der Bedingung aufgedeckt werden dürfen, dass sie entdeckt werden", sagt Nawal in dem Stück "Verbrennungen" von Wajdi Mouawad. Mouawad, der in Kanada lebt, im Libanon geboren wurde und in Frankreich aufgewachsen ist, hat das Stück 2003 geschrieben und damit weltweit Furore gemacht. Der Satz, den er seiner Figur in den Mund legt, ist programmatisch. Schließlich geht es in "Verbrennungen" um das, was der Krieg mit den Menschen macht. Um die absurde Spirale der Gewalt, von der man so viel in den Nachrichten sieht und in der Zeitung liest, dass sie zum abstrakten Hintergrundrauschen am Frühstückstisch geworden ist. Eine Wahrheit, die zu sagen kaum noch trifft. Man muss sie entdecken, um zu spüren, wie gewaltig sie ist.

Das Ensemble der Laienbühne Icking, das mit den "Verbrennungen" am Freitag im Theaterzelt auf der Wiese im idyllischen Irschenhausen Premiere hatte, wagt diese gewaltige Entdeckungsreise. Ein Kraftakt für das 18-köpfige Ensemble, schließlich ist das Stück mehr als drei Stunden lang und voller Rückblenden und verschiedener Handlungsebenen. Es erzählt die Geschichte der Zwillingsgeschwister Jeanne und Simon, deren Mutter Nawal gestorben ist. Sie ist vor dem Krieg im Nahen Osten geflohen, aus einem Land, das ihre Kinder nicht kennen. Vor ihrem Tod hat sie fünf Jahre lang geschwiegen. Nun hat sie als Testament den beiden 22-Jährigen eine Aufgabe hinterlassen: Sie müssen je einen Brief überbringen - Jeanne an ihren unbekannten Vater, Simon an einen Bruder, von dem sie nicht wussten. Sie nehmen die Aufgabe schließlich widerwillig an und nehmen die Zuschauer mit auf eine Entdeckungsreise, in die Vergangenheit ihrer Mutter, zu ihren eigenen Wurzeln und in ein Land, das von einem jahrelangen Bürgerkrieg gezeichnet ist.

Die Vergangenheit ihrer Mutter müssen Jeanne alias Carolin Jordan und Simon alias Felix Unterberger (von links) erst einmal verkraften lernen. (Foto: Hartmut Pöstges)

"Das Land", wie es in dem Stück nur heißt, steht als Pars pro Toto für den Nahen Osten. Das Stück ist im Wortsinn brandaktuell, 13 Jahre nachdem es Mouawad geschrieben hat. Die Schrecken des Krieges sind mit den Flüchtlingen längst auch in Icking angekommen.

Dass der Theatergruppe die Inszenierung nicht leicht gefallen ist, hat Leiter und Regisseur Stefan Mayer-Voigt dem Publikum einleitend erklärt. Trauer und Betroffenheit hätten die Mitwirkenden angesichts der aktuellen Ereignisse immer wieder empfunden. Aber eben auch Tröstendes und Ermutigendes. Das hat auch der Rahmen, den drei junge Syrer dem Abend geben: Deaa Alrehani, Ferhan Ozgun und Uday Alturk spielen vor der Aufführung und in der Pause auf Laute, Tabla und Keyboard Lieder aus ihrer Heimat.

Es ist erstaunlich, dass sich die Laienbühne Icking diesem in mehrfacher Hinsicht schweren Stoff gewidmet hat. Erstaunlicher aber ist es, dass der Kraftakt gelingt. Maier-Voigt nutzt den ganzen Raum der minimalistisch gehaltenen Bühne und lässt die Szenen oft überblenden: So lässt er Jeanne (Carolin Jordan) eine Vorlesung als Mathematik-Dozentin halten und Simon (Felix Unterberger) gleichzeitig für einen Boxkampf trainieren. Die Gegenwart wiederum wechselt immer wieder mit der Rückschau, in der Nawal die Hauptrolle spielt, die gleich dreimal besetzt ist: als Teenager (Maresa Sophie Sedlmeir), als 40-Jährige (Lydia di Bernardo) und als 60-Jährige (Christine Noisser). Im stetigen Wechsel von Vorder- und Hintergrund, in dem Mayer-Voigt seine Protagonisten weiterspielen und abwechselnd schweigen lässt, behält das Geschehen auf der Bühne eine Dynamik, und die Zeitebenen bleiben nachvollziehbar. Auffällig sind Boris Fittkau als sympathisch verwirrter Notar Hermile und Sebastian Kater, der als durchgeknallter Sniper Nihad sein Sturmgewehr als Mikrofon für Playback-Gesang und Selbstinterviews nutzt.

Sebastian Kater spielt den Sniper Nihad, der sein Gewehr auch schon mal als Mikrofon benutzt. (Foto: Hartmut Pöstges)

Schließlich triumphiert das Schweigen, das sich durch das ganze Stück zieht: Der ehemalige Pfleger (Marc Philippi) hat Nawals Schweigen im Krankenhaus auf 500 Tonbändern aufgezeichnet, die Jeanne wie besessen abhört. Und wenn ein Arzt (Franz Mees) in Nawals Heimatdorf versucht, Jeanne die Kette aus Racheakten zwischen Flüchtlingen und Miliz zu erklären und sich von Wut zu Mord zu Vergewaltigung hangelt, muss er schließlich aufgeben.

Das ist großes Theater im Zelt, was natürlich auch am Material liegt: den Bildern, die Mouawads Sprache zeichnet. Und vor allem am großartigen Plot. Die Wende, die die Handlung nimmt, ist von einer Wucht, die man sonst nur aus großen klassischen Tragödien kennt. Er sei immer wieder gefragt worden, warum sie keine Komödie spielen, hat Mayer-Voigt gesagt. Im seichten Wasser könne man nicht untergehen. "Wir aber", erklärte er dem Publikum, "bemühen uns um Schwimmübungen im tiefen Gewässer."

Weitere Vorstellungen am Mittwoch, 20., und Freitag, 22. Juli, jeweils um 20 Uhr. Mehr unter zelttheater-icking.de

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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