Wissenschaft untersucht Wiesntracht:Wunsch nach Identität

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Eine Volkskundlerin an der LMU hat sich mit dem Trend zur Tracht beschäftigt - und sieht darin einen starken Wunsch nach Identität und Identifikation.

Zum Oktoberfest erfasst das Phänomen die ganze Stadt: Überall in München sind die Menschen in Tracht unterwegs. Sogar wo sonst Anzug und Krawatte angesagt sind, schlüpfen Herren in den Trachtenanzug, die Damen sind im Dirndl unterwegs. Nun hat sich auch die Wissenschaft mit dem Trend befasst.

"Es geht tendenziell darum, dass die Gesellschaft immer mobiler und flexibler wird und gleichzeitig doch nach Formen sucht, die identifizieren lassen", sagt Volkskundlerin Simone Egger. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Sie sehe darin den starken Wunsch nach Identität, fasste Volkskundlerin Simone Egger von der Ludwig-Maximilians-Universität München am Mittwoch ihre Erkenntnisse zusammen. In ihrem gerade erschienenen Buch "Phänomen Wiesntracht" setzt sie sich mit Motiven und Hintergründen auseinander.

"Es geht tendenziell darum, dass die Gesellschaft immer mobiler und flexibler wird und gleichzeitig doch nach Formen sucht, die identifizieren lassen", sagte die Kulturwissenschaftlerin vom Institut für Volkskunde und Europäische Ethnologie. Zwar gebe es die Wiesntracht noch gar nicht lange. "Werte wie Heimat und Tradition werden aber gerade dann spürbar wichtiger, wenn Unsicherheit und Flexibilität weltweit anwachsen."

Was die Wiesn mit der WM verbindet

Die Wissenschaftlerin hatte rund 60 Oktoberfestbesucher befragt und Zeitungsartikel ab 2000 ausgewertet. In teilnehmender Beobachtung besuchte sie zudem Trachtengeschäfte und die Wiesn selbst. Entfernt erinnere das Phänomen auch an das ­scheinbar neu gefundene und von der Jugend getragene Nationalgefühl bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. "Die Begeisterung bei diesem Ereignis hängt auch mit Fragen der Identifikation zusammen."

Bei ausländischen Besuchern, etwa Japanern und Amerikanern, die sich gerne in bayerischer Montur zeigen, gehe es ums Teilhaben an der Begeisterung. "Es transportiert auch Emotionen, an denen man teilhaben möchte - ein Gemeinschaftsgefühl, das man in der Gruppe erlebt."

Ursprünglich war das Dirndl das Unterkleid der Magd, des "Dirndls". Das eigentliche Dirndl mauserte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Arbeitskittel zum Kleid für die Sommerfrische, das von Damen der Oberschicht getragen wurde. "Das Dirndl stand damit von Beginn an für eine städtische Vorstellung vom Land", berichtet Egger. "Die Lederhose wurde dagegen tatsächlich von den Bauern übernommen und von den bayerischen Königen geadelt."

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