Wissenschaft:"Europa bedeutet Heimat für mich"

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Killian McGrath, halb Deutscher, halb Ire, fühlt sich als Europäer. (Foto: oh)

Vom schnellen Zugang zu anderen Kulturen profitiert Kilian McGrath auch bei seiner Promotion in Philosophie

Von Giordana Marsilio

Früher hat sich Killian McGrath viele Gedanken über seine Nationalität gemacht, vor allem während seiner Jugend. Der 29-Jährige ist in Regensburg geboren, jedoch in Carlow, einer kleinen Stadt nahe Dublin, aufgewachsen. Als Sohn einer Deutschen und eines Iren, hat er seine ganze Kindheit und Jugend in Irland verbracht, dessen Kultur ihn natürlich geprägt hat: "Deutschland war etwas Vertrautes und dennoch weit weg", sagt McGrath heute, der 2012 für einen Erasmus-Austausch nach München kam. "Obwohl ich einen deutschen Pass habe, musste ich hier erst einmal die Kultur verinnerlichen und für mich entdecken. Allerdings bin ich heute zu dem Ergebnis gekommen, dass die Staatsangehörigkeit eines Menschen nicht sein Verhalten oder seine Denkweise ausmacht", sagt er. "Außerdem ist eine solche Hinterfragung nur bis zu einem gewissen Punkt gesund. Ich bin heute so wie ich bin, ein Europäer, alles andere ist Schall und Rauch."

Killian McGrath promoviert seit Oktober 2018 in Philosophie am Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Einen großen Teil seiner Bildung hat sicherlich die Europäische Union und ihre Bildungspolitik ermöglicht: "Europa hatte einen großen Einfluss auf meine Ausbildung, denn es gab mir die Möglichkeit, meinen verschiedenen Neigungen nachzugehen und sie von dem Blickwinkel einer anderen Kultur zu erleben, was sehr bereichernd ist", stellt McGrath fest, "und wenn es diese Bewegungsfreiheit nicht gegeben hätte, dann hätte ich wahrscheinlich diese Interessen nicht wirklich vertiefen können."

Killian McGrath ist neugierig und genießt es, seinen vielseitigen Neigungen nachgehen zu können: Physik, Philosophie und Musik. Er spielt Gitarre und singt, und deshalb ging er 2017 für ein Jahr nach Irland zurück, um einen zusätzlichen Master in "Music Performance" zu absolvieren. Er versucht, all seinen Interessen gerecht zu werden und auf keinen Wunsch zu verzichten. Bevor er den akademischen Weg einschlug, hatte der Deutsch-Ire zuerst einen Bachelor in Physik und Germanistik in Dublin absolviert. Während seines Erasmus-Jahrs besuchte er an der Ludwig-Maximilians-Universität Philosophie-Vorlesungen und kehrte deshalb 2014, nach Abschluss seines Studiums in Irland, nach München zurück, um seinen Master in Philosophie fortzusetzen. "Deutschland hat eine lange und bedeutende philosophische Denkschule, und am Anfang wollte ich sie besser kennenlernen und zusätzlich mein Deutsch etwas verbessern", erklärt McGrath. "Ich habe mich dann bewusst für eine Promotion hier entschieden, da ich sie innerhalb dieser Tradition, und insbesondere an der LMU, erlangen wollte."

Europa spielt nicht nur für seine persönliche Geschichte eine tragende Rolle, sondern auch für die Forschung, insbesondere in einem Fach wie Philosophie, in der Debatten und verschiedene Ansichten eine wichtige Voraussetzung für das Studium sind. Eine vielfältige Forschungsgruppe, mit Mitgliedern aus verschiedenen europäischen Ländern, fordert auf einer kulturellen Ebene einen großen internationalen Austausch.

"An meinem Lehrstuhl spürt man tatsächlich Europa", sagt McGrath, "mein Doktorvater Stephan Hartmann hat zum Beispiel Jahre lang in England Philosophie unterrichtet. Ein anderer Kollege von mir stammt aus Ungarn, unterrichtet jedoch in London, arbeitet in München und schreibt Bücher über Thomas Mann", erzählt er. "Was ich damit sagen will ist, dass man von diesem einfachen Zugang zwischen verschiedenen Bereichen sowie Ländern profitieren kann." In einer akademischen Umgebung seien "neu gewonnene Blickwinkel absolut vorteilhaft für die Forschung". Killian McGrath reist sehr gerne, erst kürzlich war er eine Woche lang in Portugal. Heute erscheint es, ohne Grenzen reisen zu können, als selbstverständlich, aber das war nicht immer so. "Diese schwierige Phase, in der viele Populisten auf dem Vormarsch sind, hat jedoch den Menschen noch mehr bewusst gemacht, was wir an Europa haben und wie wichtig es ist. Früher war Europa selbstverständlich ein Teil der Realität, nun ist es zu einer Frage geworden", sagt McGrath.

Der Diskurs um den Brexit habe einen großen Umbruch in Europa geschaffen. Damit stellten sich viele Fragen: Was bedeutet es, aus Europa auszutreten? Welche Konsequenzen gibt es auf der wirtschaftlichen Ebene und für die vielen Europäer, die im Vereinigten Königreich leben? "Wirtschaftlich betrachtet, könnte der Brexit ein Vorteil für Irland sein", meint McGrath. "Schon jetzt werden viele Unternehmen vom Vereinigten Königreich nach Dublin verlegt. Dies könnte jedoch auch den Nachteil mit sich bringen, dass Dublin zu einer sehr teuren Stadt werden kann und man sich somit dort das Leben nur noch schwer leisten könnte."

Europa sei wie ein großes Haus, und dabei stehe jedes Zimmer für ein Land. Vielleicht sei das Wohnzimmer anders als das Schlafzimmer, aber egal in welchem Raum man sich befinde, sei man trotzdem zuhause. Denn es handelt sich überall um die gleichen Wände, die gleichen Regeln und dasselbe Fundament. Auch wenn jedes Zimmer anders dekoriert ist und andere Möbel hat, verbindet das Haus die Räume. Killian McGrath fühlt sich als Europäer, weit mehr denn als Ire oder Deutscher: "Europa bedeutet Heimat für mich", sagt er, "die Reisefreiheit und der schnelle Zugang zu anderen Kulturen sind ein enormes Privileg. Das kann jedes Individuum nur bereichern."

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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