Weiße Rose:Erinnern und besser machen

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Heller, einladender, zweisprachig: An der Ludwig-Maximilians-Universität wird die erneuerte Denkstätte an die Weiße Rose eröffnet. Der Mut der Gruppe um die Geschwister Scholl sei auch in Zeiten des Populismus gefordert, findet Kulturreferent Küppers

Von Jakob Wetzel

Wolfgang Huber ist glücklich - so glücklich, wie man an einem solchen Ort eben sein kann. Doch zugleich macht er sich Sorgen. Der 77-Jährige steht vor einer Fotografie seines von den Nazis hingerichteten Vaters. Es ist Donnerstag, Huber ist in die Denkstätte Weiße Rose in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) gekommen. Vor exakt 74 Jahren haben hier die Geschwister Scholl ihr sechstes und letztes Flugblatt in den Lichthof geworfen, kurz darauf wurden sie verhaftet. Wolfgang Huber war damals drei Jahre alt. Doch eine Woche später standen die Häscher der Nazis auch bei seiner Familie vor der Tür. Denn formuliert hatte jenes Flugblatt sein Vater, der Philosophieprofessor Kurt Huber.

"Die Ausstellung ist genau so geworden, wie wir sie wollten", sagt der Sohn heute. Seit 20 Jahren erinnert die Denkstätte an die Weiße Rose; jetzt leuchtet sie in neuer Aufmachung. Die Agentur Hinz & Kunst aus Braunschweig hat sie mit Geld von Staat, Stadt und LMU modernisiert: An diesem Samstag wird sie eröffnet, von Montag an ist sie kostenlos zu besichtigen. Sie ist offener geworden, leichter zugänglich, und sie richtet sich stärker an Jüngere. "Vorher sind die jungen Leute mit ihren Lehrern reingekommen, haben mit den Handys gespielt und geschaut, dass sie wieder rauskommen", sagt Huber. Künftig sei das hoffentlich anders. Denn das Vorbild der Weißen Rose sei heute nötiger denn je.

Die neue Denkstätte ist kaum wiederzuerkennen. Ein blaues, von hinten beleuchtetes Band zieht sich durch den kleinen Raum, die ehemalige Professorengarderobe unter dem Audimax. Vorbei ist die Zeit, in der hier weiße, von Otl Aicher gestaltete Stellwände die Besucher eher aussperrten als einluden. Vorbei ist auch die Zeit, in der Besucher aus dem Ausland etwas hilflos vor den ausschließlich deutschsprachigen Stellwänden standen; die Texte sind jetzt in Deutsch und Englisch. Und vorbei ist die Zeit, in der die Denkstätte nur der fand, der bewusst nach ihr suchte. Ein Fenster zum Lichthof macht nun prominent auf die Ausstellung aufmerksam und verbindet sie zugleich mit dem historischen Ort.

Bücher wie dieses haben die Weiße Rose inspiriert. (Foto: Florian Peljak)

Inhaltlich ist die Ausstellung neu gegliedert und auch erweitert worden. Neue Schwerpunkte beleuchten beispielsweise, wie der Widerstand in andere deutsche Städte übergriff oder wie die Weiße Rose damals und in den Jahren nach dem Krieg wahrgenommen wurde, im In- und im Ausland. Vor allem aber arbeitet die Ausstellung stärker als zuvor mit authentischen Dokumenten. Sie reichen von einem Fahndungsaufruf nach Alexander Schmorell in den Münchner Neuesten Nachrichten bis hin zu Zeitungsinseraten von Menschen, die Scholl oder Huber hießen und bekannt geben wollten, mit den Verurteilten weder bekannt noch verwandt zu sein. Neun neue Medienstationen spielen auf Wunsch Ton- und Filmaufnahmen von einst und von Zeitzeugen ab - oder sie präsentieren weitere Dokumente, etwa den Gerichtsbericht über den Prozess gegen Hans Scholl oder die handschriftliche Meldung eines Kriminalsekretärs, Scholl habe seine Verhandlung als "ein Affentheater" bezeichnet. Und ein Film lässt die Besucher nachfühlen, wie umständlich es war, Flugblätter zu vervielfältigen, als es noch keine Laserdrucker gab und keine Kopierautomaten.

Man wolle Empathie mit den Handelnden wecken, sagt Hildegard Kronawitter, die Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung, die für die Denkstätte verantwortlich ist. Literatur über die Weiße Rose gebe es mittlerweile schließlich im Überfluss. Aber damit in den Besuchern persönliche Einsichten reifen könnten, müsse man dieses Wissen emotional vermitteln.

Neu ist deshalb auch der Fokus auf das, was von der Weißen Rose bleibt: auf ihre Ideale. Gerechtigkeit, Verantwortung, Gewissen, Menschenwürde, Freiheit: Diese Leitbegriffe bilden den Kern der neuen Ausstellung. Sie prangen in großen Lettern zwischen den Medienwänden. Und in der Mitte steht ein Büchertisch mit Literatur, aus denen die Studenten ihre Inspiration zum Widerstand gewannen, Werke unter anderem von Schiller und Dostojewski. Dass die Ausstellung diese Werte neu vermitteln kann, das ist die große Hoffnung von Kronawitter, und nicht nur von ihr.

Die Denkstätte sei einer der zentralen Bildungsorte Bayerns und Deutschlands, sagt am Donnerstag etwa Werner Karg, der stellvertretende Direktor der bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit; er ist vorab gekommen, um die neue Ausstellung vorzustellen. Die Besucher sollten nicht nur kommen, sondern auch etwas mitnehmen, um es draußen umzusetzen, sagt er. Die Demokratie müsse täglich verteidigt werden, ergänzt Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers. Der Mut der Weißen Rose sei auch heute gefordert.

Die neue Ausstellung lädt ein, in den Büchern zu blättern (v. li.: Markus Schmorell, Neffe von Alexander Schmorell; Hildegard Kronawitter; Wolfgang Huber). (Foto: Matthias Balk/dpa)

Er mache sich Gedanken über das politische Klima, sagt auch Wolfgang Huber, nicht zuletzt über die Parolen der AfD. Denn nach dem Krieg hat man sich zwar öffentlich überall zu den zuvor als Verräter geschmähten Widerständlern bekannt; auch die LMU, die 1943 die Mitglieder der Weißen Rose demonstrativ ausschloss, schmückte sich nach dem Ende der Nazi-Herrschaft mit den jetzt zu Vorbildern gewordenen Toten. 1946 wurde eine erste Gedenktafel enthüllt, es folgten eine zweite, eine Büste, 1960 eine Weiße-Rose-Orgel im Lichthof. Doch wie wenig sich in den Köpfen mancher Menschen tatsächlich geändert habe, das habe er selbst hin und wieder erleben müssen, sagt Huber.

"Meiner Schwester hat nach dem Krieg einmal einer gesagt, er hätte unseren Vater nicht nur köpfen lassen, sondern auch vierteilen." Und noch in den Neunzigerjahren habe er in einer katholischen Zeitschrift vom "verrückten Professor Huber" lesen müssen, der die Studenten ins Verderben gestürzt habe. Vielleicht auch aus diesem Grund wurde in Hubers Familie kaum über den toten Vater gesprochen, so wie es andere Angehörigen auch berichten. Und der Ungeist von einst sei noch immer da draußen, fürchtet Huber. "Es kommt die Zeit, in der man in der Öffentlichkeit wieder hetzen kann", sagt er. "Aber vielleicht ist diese Ausstellung ja ein Impuls, den man dagegen setzen kann."

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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