Vorbilder:Wütende Frauen

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Kinderkrippen, eine Zuflucht für Gewaltopfer und immerhin 14 Stadträtinnen in Dachau: Für die Gleichstellung wurde einiges erreicht, finden Lokalpolitikerinnen.

Von Melanie Staudinger

An ihre erste Sitzung als Kreisrätin kann Marese Hoffmann sich genau erinnern. 1996, vor 21 Jahren, ist das gewesen. Die Grünen-Politikerin ging in den Sitzungssaal und nahm den ihr zugewiesenen Platz in Beschlag - mit ungeahnten Konsequenzen. Der Mann neben ihr mit CSU-Parteibuch in der Tasche sprang entsetzt auf. Nein, soll er gerufen haben, neben einer Grünen werde er auf keinen Fall sitzen. Frau, grün und Mandatsträgerin - das reichte damals, um sich die Verachtung der männlichen Kollegen zuzuziehen. "Als ich mich zu Wort gemeldet habe, fragte der Landrat, was ich denn mitschnabeln wolle", erzählt Hoffmann. Jetzt, mit der Erfahrung aus zwei Jahrzehnten Kommunalpolitik, steht sie darüber: "So etwas würde heute nicht mehr passieren."

Es hat sich einiges getan: Frauen sind in allen politischen Gremien im Landkreis nicht mehr die Ausnahme. In der Minderheit sind sie noch immer. Eine Bürgermeisterin gibt es in keiner Gemeinde, alle 17 Rathauschefs sind Männer wie auch der Landrat und drei seiner vier Stellvertreter. In der Stadt Dachau ist der Frauenanteil mit 35 Prozent (14 von 40) am höchsten, was wenig überrascht. Dass aber prozentual gesehen in Petershausen und Röhrmoos ebenso viele Frauen in den Gemeinderäten sitzen, hätte man bei den ländlichen Kommunen nicht gedacht. Schlusslichter sind Vierkirchen, wo auf acht Männer eine Frau kommt, und Indersdorf, wo nur jeder zehnte Platz im Marktgemeinderat von einer Frau besetzt ist. Zum Vergleich: Im Bundestag liegt der Frauenanteil bei 37 Prozent, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) leitet die Geschicke der Regierung.

Wann genau die Geschichte der Frauen in der Politik des Landkreises Dachau beginnt, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Engagierte Frauen hat es immer gegeben, Maria Seidenberger zum Beispiel, die als 17-Jährige Nachrichten, Briefe und Fotografien aus dem Konzentrationslager Dachau schmuggelte und diese an die Familien der Häftlinge weiterleitete. Frauen kümmerten sich besonders um die Schwachen der Gesellschaft - Frauen wie Rosa Rabl, die in den Sechzigerjahren in Zeiten des Krankenschwestermangels als Sonntagsschwester einmal pro Monat aushalf. Oder Anneliese Balling, die Schüler- und Nachwuchsorchester gründete. Oder Schwester Faustina, die Kranken half und dafür bei der ersten Bürgerehrung der Stadt im Jahr 1968 ausgezeichnet wurde. Bürgerehrung, Ehrenwappen, Preis für Zivilcourage - diese Auszeichnungen erhielten Frauen, bis heute aber gibt es keine Ehrenbürgerin. Wohl aber zwölf Dachauer Ehrenbürger.

Für die politische Emanzipation entscheidend dürfte das Jahr 1977 gewesen sein. Die Dachauer Jugend forderte eine Diskothek, damit sie zum Ausgehen nicht so weit fahren müsse, im Stadtwald wurde der erste Trimm-dich-Pfad eröffnet, das Ignaz-Taschner-Gymnasium erhielt seinen Namen, die lange verschollene Holzdecke kehrt ins Dachauer Schloss zurück - und auf der politischen Bühne erschien eine junge Frau, mit der niemand gerechnet hatte: Hilla Solleder-Zänker, 31 Jahre alt, Rechtsanwältin und Tochter des einstigen CSU-Bundestagsabgeordneten Max Solleder aus Regensburg. Im Dezember gab sie ihre Bewerbung für das Oberbürgermeisteramt in Dachau bekannt, als erste Frau in der Geschichte der Stadt.

Frauenförderung: CSU-Stadträtin Gertrud Schmidt-Podolsky 2010 bei einer Schafkopfrunde mit Grünen-Nachwuchspolitikerin Luise Krispenz. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Sie wolle sich nicht auf speziell weibliche Gebiete abschieben lassen, erklärte Solleder-Zänker, die als Kandidatin für die Christliche Bürgerunion die Mehrheit der CSU brechen sollte. Das Kalkül: Eine Frau soll eine neue Wählerschicht erschließen, die Frauen. Solleder-Zänker trat an mit Zielen wie Stadtverschönerung oder Erhalt von Tradition und Brauchtum. Für jeden Einzelnen wolle sie sich einsetzen, doch gegen das amtierende Stadtoberhaupt Lorenz Reitmeier (parteilos), der für die CSU und ÜB ins Rennen ging, war sie chancenlos. Dennoch: Ein erster Schritt war getan.

Knapp zehn Jahre später rückte Gerda Hasselfeldt (CSU) für den ausgeschiedenen Abgeordneten Franz Josef Strauß in den Bundestag nach, dem sie noch immer als Wahlkreisabgeordnete für Dachau und Fürstenfeldbruck angehört, und die Frauenunion Dachau gründete sich. Damals wie heute mit dabei: Gertrud Schmidt-Podolsky, frühere Leiterin der Gleichstellungsstelle im Landratsamt, Dritte Bürgermeisterin der Stadt, Mutter, Großmutter, Ehefrau. "Ich war immer die Quotenfrau", sagt sie. 1984 wurde sie erstmals in den Stadtrat gewählt, als eine von fünf Frauen im 40-köpfigen Gremium.

Damals kämpften Stadträtinnen um Gleichberechtigung, sie beschäftigten sich mit großen Themen wie Kinderbetreuung und sie wollten einem Teufelskreis entkommen: Ohne Kindergärten können Mütter nicht arbeiten. Ohne Arbeit aber bleiben sie abhängig von ihren Partnern. 300 Frauen zogen einmal wütend ins Thoma-Haus, erinnert sich Schmidt-Podolsky, um ihre Rechte einzufordern, um die Vorherrschaft der Männer zu brechen.

Neben Beruf, Kindererziehung und Freizeit bleibt keine Zeit für den Gemeinderat

Sind sie erfolgreich gewesen? Ja, findet Schmidt-Podolsky, zum Teil schon. Das Interesse der "männlichen Mitbewerber" an weiblichen Themen sei gestiegen, Frauen könnten ihre Sichtweise heute wesentlich besser einbringen. Auch müsse heute keine mehr um einen Kita-Platz streiten oder sich rechtfertigen, wenn sie arbeiten gehen will. "Wenn wir einen gesetzlichen Anspruch auf etwas haben wie beim Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz, gibt es kaum mehr Probleme. Das wird nicht mehr nur als Frauenthema abgetan", sagt die Dritte Bürgermeisterin. Einige Schwierigkeiten aber sind geblieben.

Denn gerade auf dem Land seien zu wenige Frauen politisch aktiv, um effektiv ihre Interessen einzubringen, sagt sie. "Für Männer ist ein politisches Engagement in der Gemeinde oft ein Statussymbol, sie wollen die Geschicke des Landkreises oder ihrer Gemeinde mitbestimmen. Frauen ticken da anders", sagt Schmidt-Podolsky. Dabei wäre es so wichtig, dass mehr Frauen ihre Denkweise bei der städtebaulichen Entwicklung, der Finanzpolitik, dem Wohnungsbau oder der Freizeitgestaltung einbringen.

Marese Hoffmann wird 1996 als Kreisrätin vereidigt. Um ihr Rederecht muss sie kämpfen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Ich glaube manchmal, dass den jungen Frauen von heute der Aufreger fehlt, der sie aktiv werden lässt", sagt Schmidt-Podolsky, die gerade die Feiern zum 30-jährigen Bestehen der Frauenunion organisiert - mit den gleichen Leuten wie vor drei Jahrzehnten bei der Gründung. Der Nachwuchs fehlt. Zu hoch seien mittlerweile die Anforderungen: Eine Frau, die arbeite, Kinder erziehe und ein erfülltes Freizeitleben haben wolle, der bleibe kaum Zeit für Politik - außer sie habe einen Mann und eine Familie, die sie unterstütze.

Für Marese Hoffmann ist der Frauenmangel keine Überraschung, obwohl und vielleicht gerade weil sie den Grünen angehört, die in Luise Krispenz und Jasmin Lang im Dachauer Stadtrat gleich zwei junge Politikerinnen stellen. "Frauen brauchen mehr Förderung, eine ganz klare Frauenförderung", sagt sie und denkt dabei an Kommunikationstrainings oder Seminare zur Kommunalpolitik. Und sie brauchen Vorbilder, die ihnen helfen, die sich mit ihnen vernetzen, wie es bei den Männern ganz selbstverständlich ist.

Frauen wie Christine Lagarde, die Chefin des internationalen Währungsfonds, sind für Hoffmann ebenso wenig Idole wie US-Präsidententochter Ivanka Trump: Die erste, weil sie Karriere durch das Imitieren männlicher Verhaltensweisen mache, und die zweite, weil sie noch immer transportiere, dass eine Frau süß, nett und gefällig zu sein habe - eine kleine Prinzessin Lillifee.

Dennoch, verzweifeln will Hoffmann nicht, denn auch sie findet, dass sich vieles schon zum Guten gewendet hat. Als sich Männer im Kreistag zum Beispiel gegen die Eröffnung eines Frauenhauses stellten mit der Begründung, Frauen, die geschlagen werden, würden das schon brauchen, verließen alle Frauen geschlossen den Saal. Auch einige Männer fanden, dass eine solche Meinung nicht zu tolerieren sei, 1998 wurde die anfangs so umstrittene Einrichtung eröffnet. Männer und Frauen kümmern sich zusammen um die Entwicklung im Landkreis, um männliche und weibliche Themen. So müsste es sein, sagt Hoffmann. Denn eines soll auch im Landkreis Dachau nicht passieren: "Wir wollen die männliche Herrschaft nicht durch eine weibliche ersetzen." Es geht nur gemeinsam.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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