Viertel-Stunde:Sehnsucht nach der Vielfalt

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Liebt das Großmarktareal: Renate Zellerhoff. (Foto: Catherina Hess)

Am Gotzinger Platz konnte man es sich früher so richtig gemütlich machen. Der Großmarkt lieferte die Zutaten, die Menschen das Flair. Diese wunderbare Atmosphäre ist heute leider verschwunden, sagt Renate Zellerhof, die hier schon seit Jahren wohnt

Von Birgit Lotze

Lärm klingt vom Großmarktareal herüber, von Lkw und Hebebühnen. "Doch ab zehn, elf Uhr ist Ruhe in der Ecke, dann ist es hier richtig angenehm", sagt Renate Zellerhoff. Sie hat das Glück, an einem der malerischen Flecken der Stadt zu wohnen: am Gotzinger Platz in Sendling, nahe beim West-Tor des Großmarktes. Viele der Häuser dort stehen unter Denkmalschutz - Neobarock, Reformarchitektur, scheinbar wild durcheinander und doch konzipiert.

Renate Zellerhoffs Lieblingsplatz liegt zwischen Fruchthof und West-Tor. Auf diesem Platz wurde in den Zwanzigerjahren die Sortieranlage errichtet - bis vor sieben Jahren ein Treffpunkt, das lebendige Zentrum des Platzes, sagt Renate Zellerhoff. Dann drohte das Dach einzustürzen, die städtischen Markthallen setzten die Mieter - Händler und Gastronomen - überstürzt aus der Ladenzeile. Seitdem tue sich wenig. Die Stadt legt es offenbar darauf an, dass hier niemand mehr einzieht, sagt Renate Zellerhoff: "Jedenfalls bemüht sich niemand, die Vielfalt wieder herzustellen".

Früher hat sie sich hier auf Kaffee und Kuchen mit Freundinnen und Nachbarn getroffen, manchmal ist sie alleine hergekommen: "Man konnte hier richtig schön sitzen." Es sei immer viel losgewesen, ein ständiger Austausch, alle hätten sich ergänzt. In der Pasticceria traf sie die Italiener, beim Obsthändler die Türken. Renate Zellerhoff gerät ins Schwärmen. Sie hatte viele Gründe, dorthin zu kommen: Der Fischhändler bot ausgezeichnete Ware, beim Obsthändler gab es nicht nur Gemüse, sondern auch Fleisch und alles andere für zwischendurch.

Jetzt, so bedauert sie, kommt kaum noch jemand, die Läden sind verwaist. Man habe keine Möglichkeit, sich in den Schatten zu setzen, Kuchen zu essen, Obst zu kaufen. Die Stadt sorgt nicht einmal für Sitzgelegenheiten auf dem Platz. "Ich werde das Gefühl nicht los, dass eine Wiederbelebung dieses einst quirligen Eckes nicht gewünscht ist", sagt Renate Zellerhoff. Wenn es so weitergehen sollte, so fürchtet sie, wird sich auch der Fischhändler, der die ganzen Jahre im Container auf den Wiedereinzug gewartet hat, nicht mehr halten können.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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