Verbraucherschutz:Ein ignorierter Steckbrief

Lesezeit: 2 min

Im Listerien-Skandal hatten die Behörden schon Monate früher Hinweise auf die mögliche Ursache der Infektionen

Von David Costanzo

Die Epidemie-Ermittler rätselten monatelang: Warum infizieren sich immer wieder Menschen mit einem ganz bestimmten Typ von Listerien? An den Bakterien erkrankten 79 Menschen, acht starben, bis die Behörden im Mai 2016 die Großmetzgerei Sieber in Geretsried (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) dichtmachten. Doch nun zeigt ein internes Protokoll, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, dass die Behörden in dem Skandal schon Monate früher Hinweise auf eine mögliche Ursache hatten. Demnach sollen die Epidemie-Ermittler über eine Art Steckbrief eines möglichen Verursachers verfügt haben, ohne eine Zielfahndung einzuleiten, während in der Zwischenzeit weitere Menschen erkrankten und starben.

Bereits Anfang November 2015 - also mehr als ein halbes Jahr vor der Schließung der Metzgerei - tagten zwei Dutzend Gesundheitsexperten der Bundesländer mit acht Forschern des Robert-Koch-Instituts in Berlin; mit dabei waren auch zwei Mitarbeiter des bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Ohne Wissen der Verbraucher forschten die Behörden da schon seit Monaten nach der Ursache des Ausbruchs. Eine Wissenschaftlerin des Landesgesundheitsamtes in Baden-Württemberg referierte aus Gesprächen mit 20 Kranken und entwarf das Profil eines möglichen Verursachers, das sich später auch als zutreffend herausstellen sollte. Sie tippte auf Schweinefleisch - genauer: auf Produkte, die vor dem Essen nicht erhitzt werden. Diese müssten aus dem Sortiment eines überregionalen Herstellers stammen, der eine ganz bestimmte Supermarkt-Kette beliefert. Also sollten Waren dieser Kette näher kontrolliert werden. So steht es im Protokoll der Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Surveillance". Nach der Tagung aber geschah offenbar nichts in dieser Richtung, obwohl Teilnehmer solch eine Untersuchung für lohnenswert hielten.

Der Verbraucherschutz-Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Florian von Brunn, wirft dem LGL Nachlässigkeit vor: "Man hatte einen sehr treffenden Vorschlag, was und wo man suchen sollte. Aber man hat nichts gemacht. Das ist für mich völlig unverständlich angesichts der Erkrankten und Toten." Mehr als vier Monate nach der Tagung stießen Kontrolleure auf ein hoch kontaminiertes "Original bayerisches Wacholderwammerl" von Sieber - in einer Filiale der besagten Supermarkt-Kette. Nach einer genetischen Analyse ordneten die Behörden die Listerien weitere zwei Monate später mit hoher Wahrscheinlichkeit der Erkrankungswelle zu und sperrten die Großmetzgerei. In der Zwischenzeit erkrankten noch einmal zehn Menschen, zwei starben.

Das LGL weist den Vorwurf zurück. Sich auf ein Lebensmittel zu fokussieren, erhöhe die Gefahr, die Ursache zu verfehlen. Das Robert-Koch-Institut habe insgesamt 17 Lebensmittel aufgeführt, die mehr als 70 Prozent der befragten Betroffenen verzehrt hätten. Daher habe man weiterhin ein breites Spektrum an Lebensmitteln kontrolliert. Schließlich sei es den bayerischen Behörden wenige Monate später gelungen, die Ausbruchsquelle zu finden. Bereits im Januar 2016 sei der Verdacht nach der Befragung zweier Patienten auf Schwarzwälder Schinken gefallen. Daraufhin habe das LGL solche Waren untersuchen lassen - mit negativem Ergebnis. Eine Antwort des Verbraucherschutzministeriums auf eine Landtagsanfrage offenbart, wie intensiv das Amt nachforschte: Es forderte zusätzlich gerade einmal zehn Proben an.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: