Horror-Show:Wo Gäste zu Monstern werden

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Bevor Besucher in das Zirkuszelt eintreten, müssen sie einen 15 Meter langen Tunnel durchqueren - und dort warten allerhand dunkle Gestalten. (Foto: Hanno Leppien/PR-Fotos)
  • Der "Zirkus des Horrors" geht seine vierte Saison auf Tour und gastiert dabei zum ersten Mal auch in München.
  • Der Zirkus ist ein Familienunternehmen von Eheleuten, die beide aus bekannten Zirkusfamilien stammen.
  • Bei Vorführungen können sich auch Besucher einbringen: Zum Beispiel als Monster im Erschreckertunnel.

Von Jasmin Siebert

Die beiden Zelte, die auf der Theresienwiese aufgestellt wurden, sind in den klassischen Zirkusfarben gehalten: gelb-rot gestreift. Doch dass hier kein gewöhnlicher Zirkus gastiert, lassen die Plakate mit einem finster dreinblickender Nosferatu erahnen: Die Augen blutrot, die Ohren spitz und die graue Haut faltig - Nosferatu, die Hauptfigur einer der ersten deutschen Horrorfilme, hat nichts mit einem Zirkusdirektor, wie man ihn kennt, gemein.

Auch der Clown trägt zwar einen roten Zylinder und eine rote Knollnase. Doch seine Zähne sind groß und schief, die Augen seltsam weiß und über der weißen Schminke breiten sich blaue und grüne Schatten aus. Ohne Zweifel, dieser Clown ist ein echter Horrorclown. Doch Clown Maleficus erschreckt nicht nachts Passanten, sondern zahlende Gäste - in einem Zirkus der etwas anderen Art.

Es ist die vierte Saison, die der "Zirkus des Horrors" auf Tour geht. In München ist er zum ersten Mal. Hinter dem ungewöhnlichen Zirkus stehen Rosemarie und Joachim Sperlich. Beide stammen aus bekannten Zirkusfamilien und zogen seit 1995 mit ihrem eigenen Zirkus Romanza durch die Lande. Immer mit dabei die inzwischen erwachsenen Kinder Monika, Maik und René. Sie waren es auch, die den Eltern 2011 vorschlugen, einen Zirkus des Horrors aufzuziehen. Der Vater war gleich begeistert, die Mutter skeptisch. Horror, Angst und Schrecken sind nicht jedermanns Sache. Doch da es noch keinen gruseligen Zirkus in Deutschland gab, machte sich die Zirkusfamilie dran, ein Konzept zu entwerfen.

Zwei Jahre später war Premiere in Essen. Das Ruhrgebiet sei auch im vierten Spieljahr noch eine Horror-Hochburg, erzählt Kevin Leppien, der fürs Marketing zuständig ist. Konsequent abgelehnt werden sie in Stuttgart. Die Begründung: Auf dem Cannstatter Wasen werden nur familienfreundliche Shows akzeptiert. "Dabei würden wir so gern in unserer Heimat auftreten", sagt Monika Sperlich. Die Familie der 27-Jährigen kommt aus Waldenburg, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg.

In München teilt man derlei Bedenken nicht. Zwar war der Gruselzirkus in diesem Jahr der einzige Zirkusbewerber für die Theresienwiese, doch die Stadt ist auch von der Professionalität der Show überzeugt.

In der Tat, dieser Zirkus ist für Kinder eher ungeeignet. Altersempfehlung: von 14 Jahren an. Zusammen mit den Eltern werden aber auch jüngere Kinder eingelassen. Santiago, das vierjährige Patenkind von Monika Sperlich, der auf einem Miniquad umher düst, hat die Show noch nicht gesehen. Vor den Schreckgestalten, die allabendlich zwischen den mit Topfpflanzen dekorierten Zirkuswagen herumlaufen, fürchtet er sich jedoch nicht. "Er ist beim Schminken dabei und erlebt die Verwandlung vom Menschen zum Monster mit", sagt Sperlich.

Klar, mit den teils blutrünstigen Plakaten gab es in der Vergangenheit schon mal Ärger, das gibt Leppien unumwunden zu. In Hamm hing Nosferatu in der Nähe von Kindergärten und Schulen. "Seitdem achten wir darauf, wo wir plakatieren", versichert Leppien. Ganz vermeiden, dass ein Kind ein Plakat mit Gruselclown oder Horrordracula sieht, könne man nicht.

Tierschützer dürfte der Zirkus schon eher begeistern. Die zwei Schoßhündchen, die vor einem Wohnwagen kläffen, treten nicht auf. Auch sonst stehen keine Tiere in der Manege. Monster und Untote quälen sich selbst in einer Zirkusshow, die sich "Inquisition - Die Folterkammer" nennt. "Aber keine Sorge", beruhigt Leppien, "man wird hier nicht zu Tode erschreckt." Er erklärt, dass Musik, Kostüme und Lichteffekte Grusel auslösten, doch dieser der Unterhaltung diene.

Der Zirkus biete Artistik, Akrobatik, Varieté und Comedy im Gruselgewand. "Die Mischung zwischen Zirkus und Horror muss stimmen", betont er. Das krasseste Element ist die Nadelshow, in der echtes Blut fließt. Das italienische Artistenpaar trat zuvor auf Tattoomessen auf. In Berlin seien Leute ohnmächtig geworden, erinnert sich Leppien. Monika Sperlichs Nummer mit den Hula-Hoop-Reifen erinnert schon eher an klassischen Zirkus.

Die heute 27-Jährige ist ein echtes Zirkuskind. Als Zweijährige stand sei auf den Händen des Onkels in der Manege. Neun Jahre lang besuchte sie im Jahr mehr als 20 verschiedene Schulen in ganz Deutschland. "Am Anfang war es schwer, ständig woanders zu sein, doch dann war es normal für mich." Schlecht behandelt habe sie sich nie gefühlt. An jedem Spielort war sie stets aufs Neue der Star in der Schule. Mitschüler forderten sie auf: "Zeig was vor!" Und Sperlich schob ihre Füße hinter den Kopf, machte Spagat oder verbog sich für die Brücke.

Als Zehnjährige ließ sie erstmals Hula-Hoop-Reifen in der Manege kreisen. Den Reifen ist sie bis heute treu geblieben. In der Horrorversion ihrer Nummer brennen die Reifen. Die Spitzen ihrer fast polangen blonden Haare kokelten anfangs manchmal an, doch inzwischen hat sie eine Methode gefunden, wie das nicht mehr passiert: Die Haare werden nass geflochten und hochgebunden. Vor dem Auftritt sprüht sie sich mit einem feuerabweisenden Spray ein.

Wer sich nicht nur als Zuschauer gruseln will, kann sich als Monster im Erschreckertunnel bewerben. Jeder Besucher muss am Eingang durch einen 15 Meter langen Tunnel, darin lauern Mörder, Schlächter und blutverschmierte Krankenschwestern. Auf den Schrecken kann man im spinnwebenverhangenen Vorzelt einen "Dracula-Shot" aus der Spritze schlürfen oder blutgetränktes Popcorn mampfen.

Die Kombination Zirkus und Horror scheint zu funktionieren. In Würzburg, wo der Zirkus zuletzt gastierte, waren an den letzten vier Tagen beinahe alle 1400 Plätze besetzt. Da drängt sich die Frage auf: Ist der normale Zirkus am Ende? Sperlich schüttelt entschieden den Kopf. "Nein, so lange es Kinder gibt, wird es auch Zirkusse geben." Aber, fügt sie hinzu, "wir wollten schon immer anders sein als die anderen".

Zirkus des Horrors, vom 26. Mai bis 17. Juni, täglich 19.30 Uhr, Theresienwiese. Karten ab 14 Uhr an der Zirkuskasse, telefonisch unter 07942/9471435 oder online auf zirkusdeshorrors.de

© SZ vom 24.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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