Unehrenhaft entlassene Soldaten:Und nichts als die Wahrheit

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Die Bundeswehr entlässt regelmäßig Soldaten unehrenhaft, weil sie bei der Bewerbung Vorstrafen verschwiegen haben. Das Verwaltungsgericht München hat nun einem gefeuerten Stabsunteroffizier recht gegeben - die Bundeswehr hat bisher vermutlich Bewerber nicht genug über ihre Pflichten und Rechte aufgeklärt.

Ekkehard Müller-Jentsch

Bundeswehrsoldaten dürfen keine Vergehen verheimlichen - nur muss man ihnen das auch ausdrücklich sagen, befindet das Gericht. (Foto: dpa)

"Das machen wir immer so." Diesen Abwimmel-Spruch hat wohl jeder schon einmal bei Behörden oder Firmen zu hören bekommen. Selbst Richter weisen gerne erst auf die "ständige Rechtsprechung" hin - und weisen dann eine Klage ab. Solch ein vermeintlicher Routinefall nahm am Dienstag vor dem Verwaltungsgericht München eine unerwartete Wendung: Offenbar sind nach der "Immer so"-Methode in den vergangenen Jahren bundesweit viele Soldaten zu Unrecht unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassen worden. Der Vorsitzende Richter brachte das Resultat der mündlichen Verhandlung auf den Punkt: "Ein völlig überraschendes Ergebnis von großer Tragweite."

Junge Leute, die zum Bund kommen, haben nicht immer die weiße Weste eines Klosterschülers. So wie ein Münchner, der sich im November 2006 bei den Gebirgsjägern als Zeitsoldat beworben und dabei eine Vorstrafe verschwiegen hatte - es ging um eine Haschischsünde im Bagatellbereich. Der junge Mann war längst Stabsunteroffizier geworden und hatte sich auch in Afghanistan bewährt, als seine Vorstrafe den Vorgesetzten zu Ohren kam.

Vor allem auch, weil Soldaten immer gegenwärtig sein müssen, auf gefährliche Auslandsmissionen geschickt zu werden, kennt die Bundeswehr bei Drogenvergehen kein Pardon - wer selbst im Urlaub etwa nur einen Joint raucht, der fliegt. Drogen gefährden die militärische Ordnung und beeinträchtigen die Einsatzfähigkeit, heißt es. Und das gilt auch für Drogenstrafen aus der Vergangenheit. Auf diese Weise unehrenhaft entlassene Soldaten, die vor den Verwaltungsgerichten für ihr Verbleiben in der Truppe kämpfen wollten, hatten dort bis jetzt regelmäßig keine Chance. Auch in München nicht, wie das Gericht ausdrücklich betonte.

Der von der Kemptener Rechtsanwältin Andrea Hattenkofer vertretene Ex-Gebirgsjäger dürfte der erste so geschasste Soldat sein, dem der Staat nun voraussichtlich etwa zweieinhalb Jahre Sold nachzahlen und zudem womöglich noch Schadenersatz leisten muss. Ursache dafür ist, dass die Bundeswehr bisher vermutlich sämtliche Bewerber nicht genug über ihre Pflichten und Rechte aufgeklärt hat. Wie die Richter der 21. Kammer am Dienstag feststellten, darf im Prinzip jeder geringe Vorstrafen etwa in Bewerbungen verschweigen, wenn diese nicht ins Führungszeugnis eingetragen sind. So steht es im Bundeszentralregistergesetz.

Es gibt allerdings Ausnahmen, etwa vor Gerichten. Aber auch oberste Bundes- und Landesbehörden dürfen die ungeschminkte Wahrheit verlangen, "wenn andernfalls die Erfüllung öffentlicher Aufgaben erheblich gefährdet würde". Unumstößlich stehe man hinter der Auffassung, dass auch die Bundeswehr das Recht haben müsse, von ihren künftigen Soldaten uneingeschränkt die Wahrheit verlangen zu dürfen, erklärten die Richter der 21. Kammer.

Der "Knackpunkt" sei jedoch, dass jedermann vorher ausdrücklich belehrt worden sein müsse, dass in diesem speziellen Fall sein gesetzlich garantiertes "Lügerecht" entfalle. Man muss ihnen sagen, dass sie gar nichts verschweigen dürfen, auch keine Bagatellstrafen.

Der Vertreter der Bundeswehr, ein Korvettenkapitän der Stammdienststelle - das ist die Personalabteilung für alle Unteroffiziere und Mannschaften - wollte nicht kapitulieren. Er ließ sogar den Unteroffizier als Zeugen antreten, der damals dem Anwärter geholfen hatte, die Antragsformulare auszufüllen. Ob er ihn entsprechend aufgeklärt habe? Der konnte nur den Kopf schütteln.

"Das war Ihre letzte Hose, Herr Kapitän", sagte der Vorsitzende Richter, selbst ein ehemaliger Offizier. Ob der Bund den Entlassungsbescheid nun nicht zurücknehmen wolle, "damit das nicht aufkommt und alle auffliegen"? Als der Kapitän Nein sagte, verkündete das Gericht das zu erwartende Urteil (Az.: M 21 K 10.3378). "Wir sitzen hier und können nicht anders", hieß es dazu. Falls die Bundeswehr nun Berufung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof beantragen wolle, werde sie dort angesichts der glasklaren Rechtslage voraussichtlich auch "keinen Fuß auf den Boden bekommen".

© SZ vom 14.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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