Toleranz:Neun Münchner Geschichten zum Christopher Street Day

München gilt mittlerweile als die liberalste deutsche Großstadt für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender.

Von SZ-Autoren

1 / 10

-

Quelle: SZ

Wenn an diesem Samstag die Nacht hereinbricht, erstrahlt der Münchner Norden in Regenbogenfarben. Die Allianz-Arena wird anlässlich des Christopher Street Days (CSD) dreieinhalb Stunden lang in Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Lila leuchten. "Es freut uns, auf diese spektakuläre Weise am Christopher Street Day teilnehmen zu können", sagt Arena-Geschäftsführer Jürgen Muth. Diese Weltoffenheit ist für München seit Jahrzehnten selbstverständlich. Das Schwulenzentrum Sub an der Müllerstraße ist eine wichtige Anlaufstelle, bald soll es endlich auch ein Haus für lesbische Frauen geben. Die bayerische Landeshauptstadt gilt heute als liberalste deutsche Großstadt für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Aus Anlass des CSD zeigen wir auf dieser Seite neun Menschen, deren Lebensstil inzwischen schon längst (fast) ganz normal ist. SZ

2 / 10

Christine Reimer, 49

Dahoam is Dahoam

Quelle: Marco Orlando Pichler

In ihrer Fernsehrolle als Moni Vogel in "Dahoam is Dahoam" musste sie sich erst damit abfinden, dass ihr Sohn schwul ist, versöhnt sich dann aber mit ihm. Privat würde es ihr wohl genauso gehen, vermutet die Schauspielerin Christine Reimer, die ganz klassisch heterosexuell verheiratet ist und selbst zwei Söhne hat: "Ich müsste wohl am Anfang schlucken, aber es dann akzeptieren." Für Akzeptanz und Gleichstellung möchte sie mit ihrer Teilnahme am CSD einstehen. Als ihr Bekannter, der Kabarettist Jürgen Kirner, sie fragte, ob sie im neuen Wagen der Jungen Union mitfahren wolle, sagte sie sofort: "Klar!" Dass die CSU zum ersten Mal am Umzug teilnimmt, "kann kein schlechtes Zeichen sein", findet Christine Reimer. vmi

3 / 10

Dietmar Holzapfel, 59

Führung durchs Hotel Deutsche Eiche

Quelle: Florian Peljak

Er ist so etwas wie der inoffizielle homosexuelle Bürgermeister des Gärtnerplatzviertels. Dietmar Holzapfel bekleidet zwar kein politisches Amt, er betreibt seit 1993 mit seinem Lebenspartner Sepp Sattler das legendäre Hotel Deutsche Eiche. Holzapfel kämpft hartnäckig, aber auf liebenswürdige Weise für die Schwulenszene in München. Selbst Ludwig II. will er dafür wieder mehr in Szene setzen und dem König der Bayern ein großes Denkmal auf der Corneliusbrücke verschaffen. Das ist ihm trotz einer großzügigen Spende noch nicht gelungen, weil er damit in großen Teilen des Stadtrats auf Widerstand stieß. Die Deutsche Eiche an der Reichenbachstraße hingegen haben Holzapfel und Sattler geradezu zu einem Denkmal der Münchner Schwulenszene erhoben. Das 150 Jahre alte Haus war einst zweites Wohnzimmer von Fassbinder und Freddy Mercury. Dass bis heute die Eiche nicht nur für seine riesige Sauna, das Lokal und das Hotel bekannt ist, belegt Holzapfel mit einer Statistik. Von den an der Rezeption kostenlos bereitgelegten Kondomen werden jährlich 150 000 Stück benützt. ANL

4 / 10

Katharina Kirsch, 38

-

Quelle: SZ

Akzeptiert sind Katharina Kirsch und ihre langjährige Freundin, jetzt Frau, in der Nachbarschaft schon lange. "Aber die Herzen hat unser Kind geöffnet", erzählt sie. Bei den Kollegen der beiden Frauen war die junge Regenbogenfamilie nie ein großes Thema, "bis auf die Neugier, wie wir das gemacht haben", erzählt Kirsch. Über den Verein "LesMamas" kennen sie andere Familien mit lesbischen Müttern, "das gibt unserer Tochter hoffentlich das Gefühl, keine krasse Ausnahme zu sein". Zweieinhalb ist das Mädchen inzwischen, die beiden Mütter haben im Alltag "überwiegend positive Erfahrungen gemacht". Diskriminiert fühlen sie sich allerdings vom Staat: Das fängt an bei Formularen, die nach Vätern und Müttern statt nach Eltern fragen, und gipfelt in der Unsicherheit der Mütter, was die Anerkennung der Elternschaft angeht. "Meine Frau musste einen Adoptionsantrag stellen", erinnert sich Kirsch, die das Mädchen auf die Welt gebracht hat. "Dabei wird sie behandelt, als handele sich es bei ihrer Tochter um ein fremdes Kind." lod

5 / 10

Ray Taylor, 39

-

Quelle: SZ

Der Geburtstag von "Princess Ray" war am 30. April 2015, daran erinnert sich Ray Taylor noch genau. Eine Bekannte hatte ihn überredet, sich für das Amt der Maikönigin zur Wahl zu stellen. "Also machte ich stundenlange Make-Up-Proben, rannte in High-Heels am Schlosskanal entlang, um herauszufinden, welche mir am besten passen", sagt Taylor. Der gebürtige Kalifornier kam vor 22 Jahren nach Deutschland, sang in Hamburg in "Cats" und war Vocal-Coach von Bands wie den No Angels. "Ich fühle mich in München sicher", sagt der Künstler, der in einer homosexuellen Beziehung lebt, "aber die deutsche Gesellschaft empfinde ich noch immer nicht als vollkommen aufgeschlossen". Die USA seien da weiter. Er ist froh, "Princess Ray" für sich entdeckt zu haben: "Drag-Queens nehmen alle als unsexuelle Wesen wahr. So kommt man leichter mit den Leuten ins Gespräch." CLU

6 / 10

Rebecca Karl, 52 (Name geändert)

-

Quelle: SZ

Bis vor elf Jahren hieß sie Wolfgang und lebte auf dem bayerischen Land. 2005 kam er nach München, denn hier waren die richtigen Ärzte für eine Geschlechtsumwandlung, die dann auch glatt über die Bühne ging. Haare wachsen lassen, Hormone nehmen, Kleider kaufen. Und eintauchen in die große Szene, die es in der Großstadt gibt und die von der Landeshauptstadt sehr stark gefördert wird. Neun Jahre lang war Rebecca auch in dieser sehr aktiv als Vorsitzende von "Viva", der Transsexuellen Selbsthilfe. Bei jedem CSD stand sie am Infostand im Getümmel, dann ließ sie sich im Vorsitz ablösen. "Weil ich leben wollte", lacht sie. Einen Job in München zu finden war nicht ganz einfach. Ihre Geschlechtsumwandlung ist dabei "bestimmt ein Thema gewesen", sagt sie. Inzwischen ist sie jedoch glücklich mit einem Job als IT-Administratorin in einem "weltweiten Unternehmen", das "Toleranz in seiner Firmenphilosophie" habe. CW

7 / 10

Heinrich Textor, 66

-

Quelle: SZ

Er ist Vater von sieben Kindern, bisexuell und sagt: "Ich finde München toll." Die Stadt sei offen, er könne hier gut leben und er fühle sich sicher. Nach der Trennung von seiner Frau, mit der er 20 Jahre lang zusammen lebte, wurde er plötzlich vom Hausmann in einem Neun-Personen-Haushalt zum Single in einer Zweizimmerwohnung. Die drei Jahre danach waren hart für ihn. Hinzu kam eine Depression. Besonders geholfen haben ihm dabei die Männer der Gesprächsgruppe für schwule und bisexuelle Väter des Schwulen-Zentrums "Sub". Heute leitet er dort selbst ein Männertreffen und einen Meditationskurs. Den CSD mag er vor allem, weil er so gern tanzt, am liebsten am Rindermarkt. vmi

8 / 10

Albert Knoll, 57

-

Quelle: Toni Heigl

Die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ist ein Interessensgebiet von Albert Knoll, dem Archivar der KZ-Gedenkstätte Dachau. Knoll hat akribisch die Namen von 292 Häftlingen des KZ Dachau zusammengetragen, die wegen des Vorwurfs, homosexuelle Handlungen begangen zu haben, verfolgt und inhaftiert wurden und in einem Konzentrationslager zu Tode kamen. Erst in den Achtzigerjahren begannen Münchner Schwulengruppen bei den jährlichen Befreiungsfeiern in der KZ-Gedenkstätte auf diese Opfergruppe aufmerksam zu machen. Als Knoll 1997 die in Dachau neu eingerichtete Stelle als Archivar ("wie auf mich zugeschnitten") antrat, spielte seine sexuelle Orientierung keine Rolle mehr. Neben der Betreuung des Archivs und seiner Besucher entreißt er die ermordeten Homosexuellen dem Vergessen. CLU

9 / 10

Marcel Rohrlack, 19

Das ist: Marcel Rohrlack, unfreiwilliger Held der CSD-Parade jetzt.de

Quelle: SZ

Im vergangenen Jahr wurde er ungewollt zum Helden des Münchner Christopher Street Day (CSD). Marcel Rohrlack, der Sprecher der Jungen Grünen, wurde nach der Parade auf dem Heimweg zusammengeschlagen. Er war mit seinem Partner unterwegs und trug ein Kleid. Damals zeigte er Fotos seiner Verletzungen im Internet und versprach, in diesem Jahr wiederzukommen - wieder im Kleid. "Ich werde auf jeden Fall Wort halten", sagt er. Der Übergriff im vergangenen Sommer habe ihn "noch entschlossener gemacht, weiter gegen Homophobie zu kämpfen". Er nimmt auch heuer mit seinem Partner teil und wird nicht auf dem Wagen der Grünen mitfahren, sondern daneben hergehen. Er hat sich nämlich besonders schöne Schuhe gekauft. Die würde man sonst nicht sehen. vmi

10 / 10

Harald Bayer, 39

Harald Bayer und Johannes Träumer von Velspol in München, 2013

Quelle: Catherina Hess

Natürlich gibt es immer noch die Misstrauischen, die Intoleranten. Die an den Infostand von Bayer treten und Sätze sagen wie: "Also Schwule bei der Polizei sollte es wirklich nicht geben." Das aber sind eben doch die Ausnahmen, die meisten Münchner seien offen, neugierig, manchmal sogar voll des Lobes, sagt Bayer. Er ist Mitglied im Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter. In Bayern hat der etwa 60 Mitglieder, in München sind es gerade einmal zehn bis fünfzehn - viele Polizeibeamte verstecken ihre Sexualität. Auch Bayers Kollegen wussten lange nicht, dass er schwul ist, erst nachdem er vor etwa sieben Jahren dem Verband beigetreten war, outete er sich: "Leute, so ist es, kommt's damit klar oder nicht", sagte Bayer damals. Bisher aber seien alle damit klar gekommen. Ratz

© SZ.de/vmi, cw, anl, lod, wg, clu, ratz, vmi/axi
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: