Tierpark Hellabrunn:Ruhig rasant

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Rasem Baban ist seit zwei Jahren Chef in Hellabrunn. Seitdem hat er bereits viel verändert. Bauwut werfen manche dem Architekten vor, der hält dagegen, dass der Münchner Zoo modern bleiben müsse. Begegnungen mit einem Mann, der nur so tut, als ob er zaghaft wäre

Von Philipp Crone

Manchmal kommt Rasem Baban bei seinen vielen Bauprojekten selbst nicht mehr ganz mit. Neulich, bei der Hauptversammlung der Tierpark Hellabrunn AG, saß Baban in einem Tagungsraum der Stadtsparkasse. Schmale Brille, Anzug, rechts neben sich auf einer Leinwand die Zahlen des vergangenen Jahres aus dem Zoo, links neben sich die Vertreter des Aufsichtsrates, vor sich etwa einhundert Aktionäre. Es ging um die abgeschlossenen Projekte, und Baban hätte beinahe das neue Artenschutzzentrum vergessen. Der 50-jährige Zoo-Chef sagte: "Die Sachen gehen ja so schnell vorüber." Es folgten Elefantenhaus, Pelikan-Anlage, Urwaldhaus, dann die geplanten Veränderungen der Löwenanlage, immer in seinem fellweichen Sprachfluss, Mannheimerisch. Nächste Woche steht die nächste Eröffnung an: ein Kiosk im Stil eines fernöstlichen Pavillons. Baban lächelte. Zwei Jahre ist er nun da, hat alles im Griff. Und will alles verändern.

Der im März vorgestellte Masterplan sieht in den nächsten 25 Jahren Investitionen in Höhe von 125 Millionen Euro vor. Der Zoo wird wohl häufig an vielen Stellen aussehen wie derzeit: wie eine Baustelle.

Der Mannheimer Baban hat zunächst Architektur studiert, dann als Bauleiter für Bauunternehmen gearbeitet, später für eine Unternehmensberatung, ehe er nach Leipzig ging und als stellvertretender Zoo-Chef unter anderem Europas größte Tropenhalle erbauen ließ, groß wie zwei Fußballfelder. 2014 wechselte er an die Isar. Was hat der Mann vor?

Es wird am Tag der Hauptversammlung nur eine kritische Frage geben, die Baban halbsouverän beantwortet. Ob es nicht einen weiteren Ausgang geben könne. Nein, das funktioniere nicht, sagt der Direktor, "das müssen Sie mir glauben". Muss ihm natürlich niemand, aber Baban schafft es, dass die meisten es tun. Er ist beim Thema Selbstinszenierung genau so geschickt wie beim Entwickeln neuer Bauprojekte.

Zwei Tage vor der Versammlung wird im Raubtierhaus die neue "Entdeckerhöhle" eingeweiht. Baban und seine Mitarbeiter tragen die dunkelblaue Zoo-Kluft, der Chef hält sich im Hintergrund, tritt dann nach vorne und referiert über Schlangen und Spinnen in den Terrarien. Hier könne man hinter die Kulissen blicken, entdecken. Den neuen Kunstfelsen der Höhle habe man selbst anfertigen lassen. "Wir wissen ja viel besser, wie es geht", sagt Baban. So spricht jemand, der gelernt hat, sich in der rauen Baubranche zu behaupten.

Baban beobachtet die Spinnen, die nun gezeigt werden. "Deren Mythos beruht auch darauf, dass sie immer still sind. Das macht sie so unberechenbar." Deshalb hätten Menschen Angst vor ihnen. So spricht jemand, der sich und sein Projekt gut vermarkten kann, wie es Unternehmensberater lernen.

Das aktuelle Projekt: der Zoo als Mischung aus moderner Erlebniswelt und Lehr-Seminar zur Rettung der Artenvielfalt, also ein bestmögliches Marketing für die 19363 Tiere unter Babans Obhut.

Rasem Baban muss sowohl kinderfreundlicher Zoo-Direktor sein, als auch knallharter Bauherr. (Foto: Lukas Barth)

Nach der Eröffnung der Entdeckerhöhle geht der Tierparkchef durch die Raubtieranlage, vorbei an einem Gehege, "ach, sieh an, die Fischkatze", die unbeeindruckt wegtrottet. "Die Fischkatze schläft bis zu 16 Stunden am Tag", sagt Baban.

Manche haben bei seinem Amtsantritt gemosert, warum denn ausgerechnet ein Architekt Direktor in Hellabrunn werden müsse. Vorgänger Andreas Knieriem war Veterinärmediziner, vor ihm führte Henning Wiesner die Geschäfte, ein Tierarzt. Baban ist eben Architekt und baut. Zu viel, sagen manche. Baban sagt, dass die Besucher anspruchsvoller geworden sind, weil sie auch andere Zoos kennen.

Julia Kögler, stellvertretende Geschäftsführerin des deutschen Verbands der zoologischen Gärten, sagt: "Es ist bekannt, dass Herr Baban eher technisch ausgerichtet ist. Außerdem ist es üblich, dass neue Zoo-Chefs erst einmal Bauvorhaben ankurbeln." Babans Vorgänger Knieriem habe in Berlin sofort das Vogelhaus auseinandernehmen lassen, das erst fünf Jahre zuvor eingeweiht worden war, und gerade neu eröffnet. "Die Zeit ist schnelllebig geworden", sagt Kögler, Besucher wollten unterhalten werden, auch von neuen Gebäuden und Gehegen.

Baban kann Menschen für sich gewinnen, er erzählt bei der Aktionärsversammlung kurze Anekdoten, etwa dass Elefanten ohne Probleme mit ihrem Rüssel eine festgezogene M 12 Inbusschraube rausdrehen können. Oder dass er auch deshalb eine neue Meerschweinchen-Anlage plane, damit die Kinder verstehen, dass die Tiere "nicht aus dem Baumarkt" kommen. Sagt er mit einem Blick wie abgeschaut aus dem Streichelzoo. Baban gibt den sachlichen, fast etwas devoten Neuling im Tierpark-Chefsessel. Er wirkt dabei allerdings nicht schüchtern, sondern eher wie jemand, der schüchtern wirken will.

Bei Baban "tollen Tiere umher", und wenn Nachwuchs ansteht, ist "etwas im Busche". Die Sprache des Zoochefs ist kindgerecht. Er sitzt nach der Höhlen-Einweihung draußen vor der Raubtier-Anlage auf einer Bank, drei Jugendliche gehen vorbei, sie haben eine Beatbox dabei und beschallen den Weg. Baban schaut ihnen nach und dann rüber zur Baustelle des Elefantenhauses. Dieser Mann steht nicht auf den großen Auftritt, zum Beispiel mal ein paar junge Bengel zurechtweisen. Er ist aber auch nicht aus der Ruhe zu bringen.

Baban mag Argumente mehr als Emotionen. Wenn etwa bei der Aktionärsversammlung das Streit-Thema Parkhaus angesprochen wird, ist er fast erleichtert. "Derzeit ist es ja so: An Tagen mit vielen Besuchern haben wir Stau und Abgase, die Besucher müssen lange warten." Dabei kämen die Münchner ohnehin schon zu mehr als 70 Prozent mit Rad oder MVV. "Aber jemand, der aus dem Umland in den Zoo will, kommt eben mit dem Auto." Deshalb möchte Baban ein ökologisches Parkhaus bauen, "vollständig recycelbar, mit einem Gründach und darin einem Biotop, begrünter Fassade, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und so weiter: "Drei Gutachten bestätigen, dass der Standort an der Siebenbrunner Straße geeignet ist."

Neu ist für Baban, dass beim Tierpark auch die Politik schnell auf bestimmte Themen aufspringt. Ein neues Parkhaus? Kommt manchen gelegen, um sich als Kämpfer für die gute Sache zu präsentieren und dagegen zu argumentieren. Nach Widerstand aus dem Bezirksausschuss sagt Baban nur: "Wir sehen keine andere Lösung." Aber man wolle so etwas nur im Konsens mit allen Beteiligten umsetzen. "Das ist jetzt eine politisch demokratische Entscheidung."

Der Tierpark ist ein Ort der Gefühle, aber Baban versucht, die Dinge pragmatisch zu sehen. Zum Beispiel gab der Zoo neulich seinen Leoparden ab, der auch noch im Logo zu sehen ist, um sich auf Schneeleoparden zu konzentrieren, auch die Seelöwen sind nicht mehr da. Unmöglich! Eine der Attraktionen? Nachvollziehbar jedoch, wenn man Baban sprechen lässt. "Wir haben kalifornische Seelöwen abgegeben, um mehr Platz für die Mähnenrobben zu haben." Die könne der Laie zum einen ohnehin nicht voneinander unterscheiden, und "der große Unterschied ist: Die kalifornischen Seelöwen sind nicht bedroht, die Mähnenrobben schon". Und darum geht es dem Zoo-Chef ja vor allem: Schützen, erhalten, aufmerksam machen. Wenn es nur nach Publikumstieren ginge, müsste sich Hellabrunn auch um Pandas bemühen. "Aber die gibt es in Wien und Berlin. Wir dürfen nicht der Attraktivität für die Besucher alles unterordnen."

Kritiker sagen: Warum muss der den ganzen Tierpark umbauen, um daraus einen Geo-Zoo zu machen, wo die Tiere nach ihren Lebensräumen wie Afrika oder Asien aufgeteilt sind? Der Architekt will doch einfach nur bauen. Baban sagt: "Wir haben einen Bildungsauftrag." Erziehung und Erholung. "Wir sind ein Arten- und Naturschutzzentrum. Wenn man einen Eisbär in einer guten Umgebung beobachtet, lernt man über den Klimawandel mehr als durch Frontalunterricht." Den gibt es allerdings auch, im neuen Artenschutzzentrum, aber das hat Baban ja eben fast schon wieder vergessen.

Vorgänger Knieriem aus Berlin sagt: "Ich freue mich, dass die Idee des Geo-Zoos weitergeführt wird in München und dass sich Hellabrunn gut entwickelt." Dadurch habe der Zoo eine "fortschrittliche Zukunft". Und er wisse auch, wie viel Geld es kostet, einen derartigen Masterplan umzusetzen. Knieriem ist ja selbst auch Experte im Bauen. Baban sei sicher ein anderer Typ als er, sagt Andreas Knieriem, "ich bin Tierarzt und im Zoo groß geworden", aber Knieriem kennt seinen Münchner Nachfolger bereits von diversen Treffen, "und ich schätze ihn sehr, vor allem auch seine fundierten Fachkenntnisse", wie zum Beispiel die Gebäude-Architektur mit der Landschaft zusammenzubringen sei. Von Tieren spricht Knieriem nicht.

Baban hat einiges verändert in den vergangenen zwei Jahren. Neulich gab es zum ersten Mal die "Lange Nacht der Biodiversität", wie sie in anderen Tierparks bereits regelmäßig angeboten wird. 3000 Besucher kamen, es gab Musik und Vorträge, und Kritiker, die sich Sorgen um die Tiere machten. "Die Tiere hatten die Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Aber das Gegenteil passierte, sie kamen neugierig nach vorne", sagt Baban. Umweltschutzorganisationen präsentierten sich, Besucher informierten sich, Kritiker formierten sich.

Ein Tierpark wird wohl immer polarisieren. Manche sagen, dass man Menschen aufmerksam und sensibel macht für seine Umwelt, andere, dass jedes als noch so artgerecht bezeichnete Gehege noch immer kein Vergleich zur freien Wildbahn ist.

In diesem Spannungsfeld braucht es wohl einen Manager, wie sich der dreifache Vater selbst nennt. Er muss vermitteln, wenn seine Idee, wie schon in Leipzig mit einer Benefizgala Geld für den Zoo zu gewinnen, auf Kritik stößt. Er muss auf der Hauptversammlung erklären, warum das Urwaldhaus, im Jahr 2000 eröffnet, umgestaltet werden soll. "Es ist eben nicht mehr das, was der Besucher sehen will."

Wer einen Tierpark führt, muss netter Zoo-Direktor und knallharter Bauherr zugleich sein, Tierschützer-Versteher und 25-Jahre-in-die Zukunft-Denker. Da passt jemand gut, der mit lieblichem Blick und weicher Sprache seine Vorstellung eines modernen Zoos kompromisslos verfolgt.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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