Theaterstück über NS-Geschichte:Mein Opa, der Nazi

Raphael Dwinger ist der Enkel von Edwin Erich Dwinger, einem Bestsellerautor im Dritten Reich. Nun hat der 24-jährige Münchner ein Theaterstück über die Abgründe deutscher Familiengeschichte realisiert - seine Familiengeschichte.

Jovana Reisinger

Schauspieler Raphael Dwinger, 24, hat seinen Großvater nie kennengelernt: Edwin Erich Dwinger, Bestsellerautor im Dritten Reich, Propaganda-Schriftsteller. Zusammen mit dem jungen Regisseur Tobias Ginsburg hat Raphael das Stück "Nestbeschmutzung" realisiert. Dabei haben sie sich mit den Abgründen deutscher Familiengeschichte beschäftigt. Im Vordergrund stand Raphaels Familie. Eine seiner größten Ängste vor dem Projekt war, akzeptieren zu müssen, dass sein Großvater ein Nazi war. Genau das musste der junge Münchner letztendlich aber tun.

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Schauspieler Raphael Dwinger: Sein Großvater war Propaganda-Schriftsteller.

(Foto: Nina Gschlößl)

SZ: Raphael, wie bist Du mit Deinem Großvater aufgewachsen? Du hast ihn ja nie kennengelernt.

Raphael Dwinger: Es wurde immer viel erzählt. Und ich habe natürlich auch nachgefragt. Es kamen dann auch immer solche Alibi-Geschichten, dass etwa einmal zwei SS-Männer auf den Hof gekommen seien und ihn feierlich in die Partei aufnehmen wollten. Erzählt wurde, dass er angeblich gedacht habe, die kämen, um ihn zu holen, und er sei nur aus Erleichterung beigetreten. Er sei aber kein Nazi gewesen. Und die Bücher, die habe er nur geschrieben, um seine Familie zu ernähren.

SZ: In welchem Licht wurde der Großvater Dwinger gesehen?

Dwinger: Mein Großvater wurde schon auch kritisch betrachtet. Es wurde nicht nur positiv und glorifizierend von ihm erzählt, sondern auch kritisiert - eher die menschlichen Seiten, nicht sein Nazitum. Es gab also durchaus eine scheinbar kritische Auseinandersetzung. Da mein Vater sehr linksliberal ist, habe ich das nie hinterfragt. Damals habe ich die politischen Dimensionen nicht erkannt. Es wurde eben viel von ihm erzählt und das ist vielleicht der Trick. Heute kann ich damit leben. Das bin ja nicht ich.

SZ: Dann hast Du Dich doch mit Deinem Großvater auseinandergesetzt, zusammen mit Tobias Ginsburg, der selbst Enkel von Holocaust-Überlebenden ist. Warum?

Dwinger: Wir waren vor zwei Jahren was trinken und unterhielten uns über Gott und die Welt. Auch über meinen Großvater. Ich hatte damals noch meine Verteidigungshaltung, sagte, er sei ziemlich rechts gewesen, aber nie und nimmer ein Nazi. Danach entstand die erste Idee, mit Tobi ein Theaterprojekt zu machen.

SZ: Keine Zweifel, keine Scheu?

Dwinger: Es war Tobis Idee, ein Dokumentarprojekt zu machen. Ich stimmte zu. Wenn der Großvater ja eh kein Nazi war, ist ja alles in Ordnung, dachte ich. Wir fingen an zu recherchieren, und dabei hatte ich dann schon ein mulmiges Gefühl.

SZ: Warum?

Dwinger: Der schlimmste Moment war, als ich den Text "Theresienstadt" gelesen habe. Da war ich wirklich geschockt. Meine erste Reaktion war, dass ich meinen Namen ablegen werde. Dass ich nicht mehr Dwinger heißen kann. Dann kamen immer wieder solche Momente, kleinere Geschichten, über die SS-Stammrolle, dass er immer wieder befördert wurde, dass er im Warschauer Ghetto war und Massaker gesehen hat, wobei ich heute gar nicht mehr genau weiß, ob ich davon gewusst hatte, oder nicht. Merkwürdig, wie Erinnerungen so verschwimmen.

SZ: Du hast Deinen Namen nicht abgelegt. Warum?

Dwinger: Das wäre auch blöd gewesen. Es sind nicht meine Taten, und ich bin nun mal nicht er. Das musste ich begreifen. Begreifen, dass mein Opa Nazi war.

SZ: Das war die Konfrontation mit dem Großvater. Hat sich dadurch auch die Beziehung zu Deinem Vater geändert?

Dwinger: Meine größte Angst war, mit meiner Familie aneinander zu geraten. Es ist es nicht wert, selbst das wichtigste Projekt ist es nicht wert, dass die Beziehung zu meinem Vater zerbricht. Wir haben ihnen immer die neuesten Ergebnisse gezeigt, ihnen Textstellen ohne unsere Wertung gegeben.

SZ: Wie hat Dein Vater reagiert?

Dwinger: Ich habe mich sehr gescheut, offen mit ihm zu reden. Dann habe ich es getan und war sehr beruhigt, dass mein Vater zwar seine Meinung nicht ändert, aber meine toleriert. Es ist nicht meine Aufgabe, meinen Vater zu missionieren. Das kann ich nicht und das will ich nicht. Er hat seine eigene Meinung zu seinem Vater - aber er lässt mir meine.

SZ: Was war Deine Motivation für dieses Projekt?

Dwinger: Mein primäres Ziel war egoistisch. Ich wollte herausfinden, wer dieser Mann war. Rein für mich. Denn er gehört zu mir und ist ein Teil von mir und meiner Geschichte. Missionieren wollte ich niemanden.

"Ich sehe ihn als Täter und als Mensch"

SZ: Wie denkst Du heute über Deinen Großvater?

Dwinger: Er ist immer noch ein Teil meiner Identität. Ich sehe ihn gleichzeitig als Täter und als Mensch. Er hätte für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das ist die eine Seite. Aber er ist eben auch mein Großvater.

SZ: Zwei Jahre habt Ihr an "Nestbeschmutzung" gearbeitet. Die Vorstellungen in München sind vorbei, es wird aber noch Gastspiele in anderen Städten geben. Wie fühlt es sich jetzt an?

Dwinger: Ein wichtiger Teil in meinem Leben ist vorerst abgeschlossen. Ob ich damit für mich jemals werde abschließen können, weiß ich aber nicht. Es wird ein Teil in meinem Leben bleiben. Gerade spüre ich eine Leere.

SZ: Warum?

Dwinger: Weil etwas weg ist, mit dem man sich intensiv beschäftigt hat. Aber es hat weniger mit zeitlichen als mit seelischen Gründen zu tun. Gerade habe ich sehr viel zu tun, so viel, dass ich gar nicht nachdenken kann. Aber es wird auch weiterhin in mir arbeiten.

SZ: In dem Stück wird oft über Deinen Vater gesprochen, auch in diesem Gespräch erzählst Du von der Beziehung zu ihm. Redet Ihr über Deinen Großvater, redet Ihr über das Stück?

Dwinger: Wir reden schon darüber. Wobei ich schon mehr mit meiner Mutter darüber spreche. Es ist mir klar geworden, wie wichtig mein Vater für mich ist. Das will ich des Stückes wegen nicht aufs Spiel setzen. Ich bin der Meinung, ein jeder hat das Recht - nicht die Pflicht, aber das Recht -, seinen Vater zu lieben.

Der Text ist auf der Jugendseite der SZ erschienen. Weitere Artikel von jungen Autoren finden Sie hier.

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