Szenario:Mini-München

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Beim Almauftrieb geht es um Aufmerksamkeit - und um Ruhe

Von Philipp Crone

"This is unreal!" Eine Frau im blauen Dirndl beugt sich zu ihrer Begleitung und deutet auf die Szenerie im ersten Stock des Käfer-Zelts am Sonntagabend. Zwischen glitzernden Luftballons sind auf den Tischen ausladende Brotzeit-Brettl drapiert, die Gäste des 18. Almauftriebs suchen sich ihre Plätze. Ob sie mit irreal die Kleider mancher Damen meint, mit Blumenschmuck oder Prinzessinnenkrönchen im Haar? Oder doch eher das Gedränge im Gang und die gelegentlichen Blitze, wenn die Gesellschaftsfotografen wieder einen Schauspieler, Sportler oder Unternehmer erkannt haben? Die Frau lächelt und zückt ihr Handy. "Wow, you can not imagine!"

Der Almauftrieb ist ein gesellschaftliches Phänomen. Hier treffen Extreme aufeinander. Eher zurückhaltende erfolgreiche Unternehmer, die mit Kunden gleich am ersten Wochenende ein Wiesnerlebnis teilen möchten. So wie der neue Chef der Modefirma Willy Bogner, Alexander Wirth. Oder Christian Abt, ehemaliger Rennfahrer und heute Teamchef beim Team von Bentley. Abt sagt: "Der Almauftrieb ist das Highlight der Wiesn, hier trifft sich ganz Deutschland."

Den ruhigen Gästen stehen die schrillen gegenüber. Für die gehört zu diesem Abend nicht nur die Mass und die gegrillte Brust der Frühmastente, sondern auch das Posieren für Gäste und Boulevardmedien. Michael Ballack, der frühere Fußballer, stellt sich mit seiner neuen Freundin gerne auf den Balkon, neben ihr wartet Schauspielerin Christine Neubauer geduldig, bis der Bavaria-Hintergrund wieder frei ist, um sich dann selbst dort aufzustellen. Drinnen läuft Boris Becker zu seinem Tisch, wo bereits seine Lilly auf ihn wartet, und trifft den ehemaligen Sprinter und Moderator Norbert Dobeleit. Becker schlägt mit ihm ein und raunt: "Auf in den Kampf!"

Kampf? Für manche ist es sicher der um Aufmerksamkeit. Zum Beispiel für Verona Pooth oder Claudia Effenberg. Andere kämpfen eher um ihre Ruhe. Aldi-Erbin Babette Albrecht hüpft gekonnt vor den Fotografen davon und auf ihren Platz. Und Schauspieler Elyas M'Barek zieht es zügig durch die Foto-Schleuse am Eingang, um sich in Ruhe mit dem Sky-Chef Carsten Schmidt zu unterhalten. Und HP Baxter von Scooter sagt: "Für mich als Flachlandtiroler ist es wunderbar, mal ganz rustikal und ausgelassen zu feiern."

Wenn Live-Musik, Hütten-Ambiente und große Biergläser für einen derartigen Tiroler schon ausgelassenes Feiern bedeutet, kann der Münchner nur müde lächeln. Und doch ist dieser erste Wiesnsonntag im ersten Stock des Käferzelts einzigartig. Die extreme Mischung der Gäste, von Trash-Ikone über fast ganz normale Münchner bis zur scheuen Milliardärin. Und alle gehen am Ende mit einem guten Gefühl heim. Ein bisschen Business, ein bisschen bayerische Geborgenheit und dazu ein paar nette Storys zu erzählen, ob mit Lästerstimme über die kreischigen Outfits der C-Gäste oder mit Ehrfurcht über die Top-Unternehmer. Es ist also ein Mini-München, verdichtet zu einem Abend mit tausend Menschen.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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