SZ-Serie: "Wo Nachbarn ins Gespräch kommen", Folge 5:Ort der Trauer, Ort der Fröhlichkeit

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Plauderstunden auf dem Bankerl, eine Graveurin, deren Tun neugierig beäugt wird, eine fromme Katze und sogar manch spätes Eheglück: Auf dem Untermenzinger Friedhof hat man überraschende Begegnungen

Von Anita Naujokat

Der Zettel an der Kirchentür von Sankt Martin entlockt wohl jedem Besucher des Friedhofs in Untermenzing ein Lächeln. "Wir haben eine ,fromme Katze'", steht auf ihm, also bitte die Türe immer schließen, weil die vierbeinige Besucherin schon öfter den Alarm am Altar ausgelöst habe. Die weitläufigen Anlagen sind an diesem warmen Werktag ein geschäftiger Ort. Angehörige und Gärtner zupfen vertrocknete Reste von den Grabstellen, pflanzen Blumen, gießen. Ein Hämmern lenkt die Schritte zu einem kleinen Grabstein. Hinter ihm hat es sich Sabine Capek im Schneidersitz auf einer Matte gemütlich gemacht. Mit einem Druckluft-Schriftenhammer frischt sie die eingemeißelten Buchstaben auf dem Stein auf.

Die Schriftgraveurin ist es gewohnt, bei ihrem Tun von vielen Menschen angesprochen zu werden. "Gerade alte Leute freuen sich, wenn man mit ihnen redet. Sie kommen, fragen, was ich mache, auch jüngere wollen wissen, ob sie zusehen dürfen", erzählt die 38-jährige Allacherin. Beim Gespräch über die Arbeit bleibt es meistens nicht. "Man bekommt oft erstaunlich persönliche Sachen mit", sagt sie. "Die Leute erzählen Familiäres, was sie bewegt, von den Schwierigkeiten mit den Kindern, Berufliches, wie sie aufgewachsen sind, wie es früher war und im Krieg." Oft erfahre sie ganze Lebensgeschichten, sagt Capek. Das hänge mit dem Ort zusammen, aber auch mit ihr, davon ist sie überzeugt. Sie kenne sogar Leute, die sich hier zum ersten Mal begegnet sind und geheiratet haben. Und dann gebe es noch eine eigene Kommunikationsstruktur, zwischen denen, die auf dem Friedhof arbeiten: die Gärtner, Bestatter, Grabmacher. "Jeder Friedhof ist eine Welt für sich." Zu ihren Lieblingsfriedhöfen zählen die alten, doch so ganz kann sie sich nicht entscheiden: "Jeder Friedhof hat seine eigene Stimmung".

Sabine Capek, die mit Lineal und Druckluft-Schriftenhammer die eingemeißelten Buchstaben auf Grabsteinen auffrischt, erklärt ihre Arbeit. (Foto: Robert Haas)

Was das Alter betrifft, muss ihr der Untermenzinger Friedhof sehr entgegenkommen. Er wurde zusammen mit der Dorfkirche Sankt Martin 1499 errichtet. 1952 kam auf dem gegenüberliegenden Ufer der Würm der Parkfriedhof hinzu. Beide Friedhofsteile verbindet ein überdachter, hölzerner Steg über die Würm, den bei Beerdigungen auf dem Parkfriedhof auch die Trauerzüge überqueren. 3400 Grabstätten auf einer Fläche von fast 7,6 Hektar umfasst das Gelände. Bänke in der Sonne laden zum Verweilen ein. Er komme oft hierher, um dem Straßenlärm aus der Eversbuschstraße zu entkommen, sagt ein älterer Mann der Besucherin auf der Bank. Gerade habe er dort vorne einen getroffen, der zufällig den gleichen Namen wie ein alter Schulfreund habe.

Und schon ist man mittendrin in einem Gespräch über das Arbeitsleben als Autoteileverkäufer in den Sechziger- und Siebzigerjahren, Touren mit dem Rennrad - über 250 Pässe hat er bis zu seinem 55. Lebensjahr bewältigt - und Geschichten vom Friedhof. Wie er einer Frau aufgeholfen hatte, die gefallen war und nicht mehr alleine hochgekommen ist. "Mei, o mei, des war ein Zirkus", erinnert sich der drahtige 76-Jährige, angetan mit grauer Kappe im Kosakenstil auf grauen langen Locken, grauem Janker und buntem Seidenhalstuch. "Die war ziemlich schwer, aber ich habe es geschafft. Ihre Finger waren eiskalt und zitterten so, dass sie ihren Mann nicht anrufen konnte. Also habe ich erst mal ihre Hände gewärmt." Und dann die unvernünftigen alten Frauen, die unbedingt bei Eis und Schnee mit dem Rad angefahren kämen, nur um ein Grablicht aufzustellen. Als ob das nicht auch mal ein, zwei Tage warten könnte, meint er. Nach seinem Namen gefragt winkt er ab, der sei nicht wichtig. "So, jetzt habe ich viel erzählt, sonst höre ich immer nur die Geschichten von anderen", erhebt er sich nach einer Stunde, führt einen aber noch zum Grab des Balletttänzers Heinz Bosl.

3400 Grabstätten auf einer Fläche von fast 7,6 Hektar umfasst das Gelände auf dem Untermenzinger Friedhof. (Foto: Robert Haas)

Gärtner Robert Trifellner ist mit einer Kollegin und einem Kollegen zugange. "Wir leben hier vom 1. März bis 1. November", sagt er. Der Friedhof sei nicht nur ein Ort der Trauer, sondern auch der Fröhlichkeit und des Lebens. Er kennt Leute, die sich regelmäßig an schönen Nachmittagen auf dem Friedhof treffen, immer zusammen auf den Bänken sitzen. Auch er hat viel Kontakt mit den Friedhofsbesuchern, aber meist nur Zeit für Kurzgespräche.

"Grad war eine Arbeitskollegin da und da haben wir über Krankheiten geredet", erzählt eine Frau. Zusammen mit ihrem Sohn steht die 78-Jährige am Grab ihrer Eltern, die beide jung und innerhalb von nur fünf Monaten gestorben sind. Da war sie mit ihrem Sohn hochschwanger. "Die haben sich zu Tode gearbeitet", seufzt sie. Aus der Oberpfalz seien die Eltern in die Gerberau gezogen, Job gesucht, Grundstück gekauft, Häusl gebaut - und kurz danach war alles zu Ende. Sie berichtet aber auch von dem Fall eines späten Liebesglücks, das auf dem Friedhof begonnen hat. Auch sie sei diesbezüglich schon einmal von einem Herrn angesprochen worden, sei aber bereits verheiratet. Alte Arbeitskollegen, Freunde, Bekannte, Nachbarn und Schulkameraden: Man kennt sich auf dem Untermenzinger Friedhof: "Viele aus der Gerberau nutzen ihn", sagen Mutter und Sohn.

Anzutreffen sind aber auch jene, die keinen Kontakt wollen. Entweder weil sie keinen Wert darauf legen, wie das ältere Paar, das gerade schweigend Stiefmütterchen setzt und froh ist, bald wieder fortzukönnen, oder aus anderen Gründen. Sie sei so oft krank, sagt lächelnd eine allein an einer Ruhestätte verweilende Frau. Deshalb suche sie erst gar nicht Kontakt zu anderen. Auch eine Geschichte aus dem Leben.

Beim Hinausgehen ist es wieder zu hören, das fast vertraute Hämmern, mit dem ein Grabstein bearbeitet wird. Dieses Mal aus einem anderen Winkel des Friedhofs. Und so sehr man auch nach ihr Ausschau hält: Die "fromme Katze" lässt sich an diesem Tag nicht blicken.

Man kennt sich, man trifft sich: Viele, die dem Straßenlärm entfliehen wollen, genießen aber auch einfach die Ruhe auf dem Untermenzinger Friedhof. (Foto: Robert Haas)

Am Samstag lesen Sie: die Berg am Laimer Tafel

© SZ vom 13.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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