SZ-Serie: In München unterwegs, Folge 10:Heiliger Heimservice

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Was früher selbstverständlich war, pflegt Pastoralreferentin Birgit Gammel noch heute: Sie bringt alten und kranken Menschen die Kommunionins Wohnzimmer

Von Jakob Wetzel

Es sind nur ein paar Minuten zu Fuß von Haustür zu Kirche, doch für Veronika Janker ist auch dieser Weg zu weit. Früher war die 89-Jährige regelmäßig drüben in der Pfarrei "Zu den Heiligen Zwölf Aposteln" in Laim. Heute bleibt sie sonntags daheim. Ihr Bewegungsapparat sei "abgenützt", sagt sie. Bis in die Kirche, in der sie früher so viel Zeit verbracht hat, zu ihrer Gemeinde, in der sie sich zu Hause fühlt, schafft sie es nicht mehr. Doch zumindest an diesem Mittwoch ist es ein bisschen so wie früher. Denn an diesem Tag kommt Birgit Gammel: Und wenn Veronika Janker schon nicht mehr in die Kirche gehen kann, dann bringt Gammel die Kirche eben zu ihr.

Birgit Gammel ist Pastoralreferentin, also Seelsorgerin im katholischen Pfarrverband Laim. Im Alltag wirkt die 61-Jährige nicht nur in Gottesdiensten mit, sie kümmert sich auch um die Seniorenarbeit und um die Seelsorge für Kranke und Schwache. Von ihrem Schreibtisch an der Pfarrkirche "Zu den Heiligen Zwölf Aposteln" aus organisiert sie eine Nachbarschaftshilfe in der Gemeinde oder unter anderem wöchentliche Meditationsabende. Doch immer wieder geht sie durch die Sakristei in die leere Kirche, holt dort unter Kniebeugen eine Hostie aus dem Tabernakel und legt sie in eine Pyxis, ein rundes, goldenes Gefäß, eine Art Tabernakel zum Mitnehmen. Dazu packt sie ein weißes Leinentuch, verstaut alles in einer schwarzen Tasche und bricht auf: Sie bringt Alten oder Kranken die Kommunion nach Hause.

Viele Menschen wüssten gar nichts von dem Angebot, sagt die Pastoralreferentin. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Diese Hauskommunion sei etwas aus der Mode gekommen, aber sie gehöre eigentlich zum Selbstverständnis jeder katholischen Gemeinde, sagt Gammel. Auch die Alten und Kranken gehören dazu, sie sind Teil der Gemeinschaft. Nur weil einer nicht mehr zur Kommunion gehen kann, soll er nicht ausgeschlossen sein. Ein Priester, ein anderer Seelsorger oder auch ein ehrenamtlicher Kommunionhelfer bringen dann das Allerheiligste - nach katholischem Verständnis wandelt sich die Hostie während der Messe in den Leib von Jesus Christus - einfach zu ihm.

Im Pfarrverband Laim koordiniert Birgit Gammel dieses Angebot. Zehn Seelsorger beteiligen sich, sagt sie. Mal gehen sie ins Altenheim, meist aber zu den Menschen nach Hause. Mal bringen sie das Allerheiligste ans Krankenbett, oft eher ins Wohnzimmer. Und manchmal begleitet einer von ihnen ein Gemeindemitglied über Jahre hinweg, da gebe es feste Paare, die sich gut verstehen, sagt Gammel. Hin und wieder wechseln sie sich trotzdem ab, damit jeder Katholik von Zeit zu Zeit einen Priester sieht, sei es für die Beichte oder auch für die Krankensalbung.

Pastoralreferentin Birgit Gammel bringt alten und kranken Menschen die Kommunion ins Wohnzimmer. Früher war das selbstverständlich. (Foto: Alessandra Schellnegger)

"Es ist etwas anderes, wenn man auf diese Weise noch mit dabei sein darf, da werden die Hoffnung und der Glauben aufgefrischt", sagt Veronika Janker. Und dabei geht es nicht nur um die Kommunion, auch nicht an diesem Mittwoch in Jankers Wohnzimmer. Es geht auch um die Gemeinde. Janker wohnt seit 64 Jahren in ihrer Wohnung, sie und ihr Mann haben sich jahrzehntelang in der Pfarrei engagiert. Jankers Mann war Kommunionhelfer und arbeitete in der Kirchenverwaltung mit, sie selbst leitete die Pfarrbücherei. "Sonntags nach dem Gottesdienst war da immer ein Mordstrubel", sagt sie, "das würde mir auch heute noch gefallen, wenn ich noch besser laufen könnte." Aber da sei nicht mehr viel zu machen. Nicht einmal mit dem Auto könne man sie noch abholen, sie könne nicht mehr einsteigen, der Ischias.

"Das Altwerden, das ist eine Sache für sich", sagt Janker und lacht. Sie lacht gerne, ihren Humor hat sie nicht verloren, nur ihre gewohnte Kirche. Gottesdienste sieht sie sich nun im Fernsehen an und verfolgt sie im Radio. Und für die Kommunion hat sie nun eben ihr Wohnzimmer, dazu eine Kerze auf dem Tisch, eine Madonnenfigur an der Wand, und an diesem Tag Birgit Gammel, mit der sie nicht nur singen und beten kann, sondern auch reden. Darüber, was es Neues gibt in der Gemeinde, wie es weitergeht mit der Bücherei, aber auch von ihren eigenen Sorgen. Vor wenigen Wochen noch hat sie mit ihrem Mann Eiserne Hochzeit gefeiert, seit 65 Jahren sind sie verheiratet. Mittlerweile aber musste ihr Mann ins Pflegeheim - und so wenig, wie Veronika Janker sonntags mal eben in die Kirche gehen kann, ebenso wenig kann sie ihren Mann ohne Weiteres besuchen. Über Birgit Gammel hält sie den Kontakt zumindest zur Gemeinde.

Durch den Besuch von Birgit Gammel haben ältere Menschen noch Kontakt zu ihrer Gemeinde. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dass es dieses Angebot gibt, das sei vielen Katholiken gar nicht bekannt, sagt die Pastoralreferentin. "Ich erlebe das hin und wieder bei Trauergesprächen. Dann erzählen mir die Hinterbliebenen, wie sehr der Verstorbene darunter gelitten habe, nicht mehr zur Kommunion in die Kirche gehen zu können. Von einer Hauskommunion hätten sie nichts gewusst." Entsprechend gering sei generell die Nachfrage. Sie wisse nicht, wie viele Katholiken sich vielleicht direkt an einen der anderen Seelsorger gewandt hätten, sagt sie, das geschehe dezentral und unbürokratisch. Aber sie selbst wisse derzeit von nur etwa 20 Empfängern - bei insgesamt 18 500 Katholiken im Pfarrverband Laim. Und die wenigen, die das Angebot in Anspruch nehmen, sind noch dazu sehr zurückhaltend: Sie wollen die Seelsorger nicht über Gebühr beanspruchen. Manche bitten deshalb nur ein paar Mal im Jahr, zum Beispiel nach den Hochfesten, um die Kommunion. "Wir ermutigen dazu, uns anzufragen", sagt Gammel. Dass jemand wöchentlich besucht werden will, sei trotzdem selten.

Früher sei die Hauskommunion noch eine Selbstverständlichkeit gewesen, erzählt Gammel. Immer am Herz-Jesu-Freitag, dem ersten Freitag im Monat, habe man die Alten und Kranken zu Hause besucht. Deswegen seien Tabernakel, jene Schreine in den Kirchen, ja überhaupt erst entstanden: Die Menschen suchten einen würdigen Ort, an dem sie die gewandelten Hostien einstweilen aufbewahren konnten.

Heute sei vieles komplizierter, sagt Gammel. Schon dass man unmittelbar ans Krankenbett gerufen werde, sei die Ausnahme. Manche ältere Katholiken könnten einfach zeitlich nicht mehr in den Gottesdienst gehen, etwa weil das Essen auf Rädern oder der Pflegedienst ungünstig kommen. Andere haben Hemmungen, sich zu melden, weil sie schon lange nicht mehr in der Pfarrkirche waren - sie sind stattdessen in andere Gemeinden gegangen, die zwar weiter weg liegen, dank der U-Bahn für sie aber leichter zu erreichen waren. Und auch die Wege von Gammel und den anderen Seelsorgern führen sie nicht nur in Häuser im Pfarrverband. Hin und wieder besucht sie ältere Gemeindemitglieder, die weggezogen sind oder in einem entfernten Pflegeheim leben. Einen früheren Kommunionhelfer besuche sie gar in der Nähe von Augsburg, sagt sie.

Veronika Janker (rechts) kann ihre Wohnung kaum noch verlassen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

An diesem Tag hat sie es nicht weit. Nach einer halben Stunde ist der kleine Gottesdienst vorüber, die Hauskommunion ist gespendet. Veronika Janker hat sich bedankt und hat Birgit Gammel zur Tür gebracht. "Wir stehen auf, so lange es geht!", hat sie gesagt, und "Auf Wiedersehen". Es ist ein Abschied auf Zeit.

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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