Stephanuskirche:"...alles Irdische verhallt"

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Am Pfingstsonntag wird die neue, vierte Glocke der Stephanuskirche in Neuhausen eingeläutet. Gespendet wurde das gut 100 000 Euro teure Klangstück von Helga Henning, seit vielen Jahren Mitglied der Gemeinde

Von Franziska Koohestani, Neuhausen

"Und wie der Klang im Ohr vergehet, der mächtig tönend ihr entschallt, so lehre sie, dass nichts bestehet, dass alles Irdische verhallt"- so beschrieb es Friedrich Schiller bereits 1799 in seinem Gedicht "Das Lied von der Glocke", das lange Zeit zum Kanon der deutschen Literatur gehörte. Und noch heute, 216 Jahre später, gilt: Eine tiefsinnige Botschaft möge den bloßen Klang des Geläuts überdauern. Denn dies ist die Aufgabe einer Kirchenglocke: erinnern, aufrufen, zur Besinnung mahnen.

In Zukunft soll das auch die neue Glocke der Stephanuskirche tun. Sie schlägt das gestrichene C, wiegt 2200 Kilogramm und hat einen Durchmesser von 1,53 Metern. Damit ist die vierte Glocke der Kirche größer als die Friedens-, die Tauf- und die Weihnachtsglocke, die sich bereits hoch oben im Glockenstuhl befinden. Bis auf die Taufglocke sind die anderen beiden erst seit 1953 im Besitz der Stephanuskirche, nachdem die ursprünglichen Glocken 1942 für Kriegszwecke eingeschmolzen wurden. Ein Ersatz für die vierte und letzte aber blieb seit jeher aus. Grund dafür ist vor allem der Preis für die Herstellung: gut 100 000 Euro.

Dass nun tatsächlich das vierte Klangstück geweiht und hochgezogen werden konnte, ist also ein besonderes Ereignis. Die Gemeinde der Stephanuskirche versammelt sich an jenem sonnigen Frühlingstag gespannt vor dem Lastwagen, der auf der offenen Ladefläche die mit bunten Blumenkränzen geschmückte Glocke gebracht hat. Die Atmosphäre erinnert an eine Taufe - festlich, freudig, von dem Neuen, dem Unverbrauchten überwältigt. "Ein Wunder wird wahr", sagt Sabine Arzberger, Pfarrerin der Kirche, als die Weihe beginnt. "Die Geschichte der Glocke erinnert uns daran, dass nichts im Leben selbstverständlich ist", ergänzt sie und blickt lächelnd hinüber zu Helga Henning, die in der ersten Reihe sitzt. Denn: Die 67-Jährige ist die alleinige Spenderin für die neue Glocke.

Spannende Momente: Die neue, vierte Glocke für die Stephanuskirche wurde aus 1000 Grad Celsius heißer Glockenspeise in Karlsruhe gegossen. (Foto: Thomas Hauzenberger)

In der Festschrift der Stephanuskirche steht zu lesen, dass es die vierte und letzte Glocke nur geben könne, wenn sich Spender finden. Helga Henning las diesen Satz, entschloss sich, die Glocke zu ermöglichen und ist sich heute sicher: "Das war eine Fügung Gottes." Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen im Berliner Stadtteil Wedding habe sie ihr Leben lang immer wieder Menschen getroffen, die sie "forderten und förderten". Dass sie nun in der Lage ist, diese Glocke zu finanzieren, sei Gottes Wegweisung zuzuschreiben: "Sie ist ein Ausdruck meines Dankes an den Herrn", sagt sie, und: "Wir sagen viel zu wenig Danke, dabei kann man für so vieles danken - und das sollte man auch tun."

Helga Henning ist langjähriges Gemeindemitglied und aktiv in der Nachbarschaftshilfe. Ihr war es wichtig, das Geld in etwas zu investieren, von dem alle etwas haben. Auch deshalb hat sie sich gemeinsam mit dem Kirchenvorstand für die Inschrift der Glocke entschieden: "Freut euch, eure Namen sind im Himmel geschrieben!" ist am oberen Rand eingraviert; darunter ist mittig der Märtyrer Stephanus dargestellt. Sie hätte ihr Geld auch in eine Kreuzfahrt stecken können, erklärt Henning. Aber: "Ich werde die Glocke jeden Tag hören und an ihre Bedeutung denken - das ist viel besser als Hüftgold vom Buffet", beteuert sie lachend. Schließlich gibt es eine Kirchenglocke über Generationen hinweg, sie ist für die Ewigkeit gedacht, das Hüftgold möchte man aber schnell wieder loswerden.

Beim Gießen der Glocke in Karlsruhe war Helga Henning auch dabei. Der langwierige und arbeitsintensive Prozess beginnt traditionell freitags um 15 Uhr - zur Geburtsstunde Jesu. Die Schmelzöfen werden stundenlang aufgeheizt, damit die Glockenspeise, die aus Kupfer und Zinn besteht, schmilzt. Wenn diese circa 1000 Grad Celsius erreicht hat und glühend aus dem Ofen fließt, kann die Gießung beginnen. Im Anschluss muss die Glocke dann mehrere Tage in einer Grube auskühlen.

Pfarrer Hermann Bethke, Dekan Christoph Jahnel, Pfarrerin Sabine Arzberger, Helga Henning und Prädikant Richard Müller (v.li.) begrüßen die Glocke. (Foto: Thomas Hauzenberger)

Damit ein Glockenstuhl für die neue Glocke gebaut werden konnte, gab es in der Stephanuskirche seit Ostern kein Geläut mehr. Umso größer ist nun die Vorfreude. "Die Glocken läuten, der Mensch öffnet die Seele, Besinnung tritt ein", sagt Sabine Arzberger, "es fehlt uns etwas ohne die Glocken." Ein Gefühl, das ihre Gemeinde bestätigt. Und so erzählen Nachbarn, ihnen sei damit auch ein Wecker verloren gegangen, auf den sie sich immer verlassen konnten. Der wird in Zukunft nun jedenfalls noch viel größer und lauter sein als bisher.

Am Pfingstsonntag, 24. Mai, ist es dann endlich soweit: Die neue Glocke wird im Gottesdienst um 9.30 Uhr eingeläutet. Und dafür sind Nachbarn, Gemeindemitglieder, Pfarrerin und Spenderin gleichermaßen dankbar.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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