"Landfrauen machen Schule":Unterricht im Laufstall

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Gesunder Appetit: Schulkinder füttern Kühe auf dem Weßlinger Wunderl-Hof. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Zum Auftakt des Projekts "Landfrauen machen Schule" besuchen Drittklässler den Wunderl-Hof in Weißling. Sie erfahren, dass eine Kuh täglich so viel frisst, wie in eine Badewanne passt. Heimatkunde, mal ganz anders

Von Blanche Mamer, Weßling

"Schaut Kinder, das ist mein Liebling, Zinnie, sie hat so schöne Augen und so lange Wimpern", sagte Annemarie Wunderl und streichelt die Kuh am Kopf. Ja, sie spricht mit den Kühen, sagt sie den Drittklässler aus Weßling, die mit Lehrerin Anna Keller und ihrer Schulleiterin Maria Streifinger auf den Aussiedlerhof am Rand von Weßling gekommen sind. Es ist der Auftakt zum Projekt "Landfrauen machen Schule", den der Bauernverband jedes Jahr im Mai organisiert. Unter dem Motto "Nur Geduld - aus Gras wird Milch" erfahren die Kinder, was alles nötig ist, bevor Milch und Joghurt im Supermarktregal stehen.

234 Schulklassen in ganz Bayern nehmen in diesem Jahr an der Aktion teil. Aus dem Landkreis sind heuer fünf Klassen aus Weßling dabei. Sie konnten sich zwischen den Schwerpunktthemen Milch, Käse, Kartoffeln, Getreide, Fleisch, Obst und Gemüse entscheiden, dabei geht es nicht nur um die Produktion, sondern auch um die Ernährung. Vor dem Besuch auf dem Bauernhof hatte Annemarie Wunderl, die auch stellvertretende Kreisbäuerin und Ernährungsfachfrau ist, den Schülern in einer Doppelstunde bereits etliches über Milch berichtet und zusammen mit den Kindern gesundes Essen - wie Kräuterquark und Bananenmilch - zubereitet. Der Tag auf dem Hof beginnt mit einem Besuch bei den Kälbchen: Jedes Kälbchen hat sein eigenes Iglu mit kleinem Laufstall. Als sich die Kinder nähern, zieht sich Zenna sofort an die Rückwand ihres Iglus zurück. Sie hat die Nummer 30. 715 und ist etwa sieben Wochen alt. Rita, mit der Nummer 30. 717, wohnt im Iglu gleich gegenüber. Sie ist nicht so ängstlich und lässt sich streicheln. Die Tiere verhalten sich unterschiedlich, sagt Jungbauer Benedikt Wunderl. "Bei uns ist immer etwas los. Beim Kita-Streik zum Beispiel ging es zu, wie wenn sich alle Mütter oder Väter hier verabredet hätten", erzählt er.

Die weiblichen Kälbchen bekommen einen Namen mit dem gleichen Anfangsbuchstaben wie bei der Mutterkuh. Die Mutter von Zenna hat also auch einen Namen mit Z, bei Rita ein R, erzählt Annemarie Wunderl. Gleich nach der Geburt werden die Ohren mit der Markierung versehen, mit fortlaufenden Nummer, Geburtsdatum und dem Namen. Die weiblichen Kälbchen bleiben auf dem Hof, die männlichen werden auf dem Markt in Weilheim an andere Bauern oder Metzger verkauft, sie bekommen keinen Namen. "Du Armer, du wirst geschlachtet", sagt ein Mädchen am Laufstall eines Stierchens und klingt ein wenig traurig. Sie finde es gut, dass die Kinder ans Landleben herangeführt werden, sagt Vanessa Meisinger, die Moderatorin der Kinderwissenssendung WOW, die in diesem Jahr Schirmherrin ist. 90 Milchkühe und 80 Jungtiere werden auf dem Hof, gehalten, der seit 2010 anerkannter Bioland-Betrieb ist.

"Habt ihr keinen Stier?", will Marie wissen. Nein, nicht hier auf dem Hof, sagt Annemarie Wunderl und freut sich über das Interesse. Die Kühe werden künstlich besamt, das reicht der Schülerin als Erklärung. Allerdings leben etwa 50 Kalbinnen und ein Stier auf einer Alm, nicht weit vom Murnauer Moos, berichtet Altbauer Anton Wunderl. Die Jungkühe müssen mindestens ein Jahr alt sein, bevor sie trächtig werden können. Zum Kalben werden sie zurück auf den Hof geholt. Erst wenn sie ihr erstes Kälbchen geboren hat, gibt die Kuh Milch. Schon eine halbe Stunde nach der Geburt kann das Kälbchen laufen, erklärt Wunderl. Eine schwarze Kuh drängt sich zwischen dem bräunlich-weißen Fleckvieh an das Gatter im Laufstall im Freien, sie zieht alle Kinder magisch an. Sie ist ebenfalls ein Fleckvieh, aber eben schwarz, erklärt der Jungbauer. Da sie bisher nur männliche Nachkommen hatte, gibt es kein schwarzes Kälbchen. Eine einzige Kuh hat Hörner. Da es für jede Frage eine Erklärung gibt, lautet die nun: Weil der Bauer kurz nach der Geburt des Kälbchens keine Hornansätze fand, konnten sie nicht gekappt werden, dafür wuchsen sie später um so schöner.

Kaum vorstellbar, eine Kuh frisst am Tag so viel, wie in eine Badewanne passt. Eine solche Tagesration liegt in der Scheune bereit, etwa gleich große Portionen von Heu, Grassilage, Mais- und Getreideschrot und jeweils ein halbes Pfund Kraftfutter und Salz. Mit einer Spezialmaschine wird die Mischung hergestellt. "Es riecht wie Sauerkraut", finden die Kinder. Dazu brauchen die Kühe etwa 80 Liter Wasser - acht volle Eimer. "Und wenn eine Kuh 40 Liter Milch gibt, säuft sie doppelt so viel", sagt der Bauer.

Eine Kuh gibt im Durchschnitt am Tag 25 Liter Milch. Der Milchtank fasst 3000 Liter und wird jeden zweiten Tag geleert. Irgendwann sind die Kinder so voll mit Wissen, dass sie keine Fragen mehr haben. Dafür stürzen sie sich auf die vorbereitete Brotzeit, natürlich aus gesunden Milchprodukten.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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