Tutzing:Mit Wehmut und inniger Traurigkeit

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Von Reinhard Palmer, Tutzing

Kammermusik kann auch schon mal großes Kino sein. Mal mehr, mal weniger dem wahren Leben entlehnt, doch immer echt, weil emotional authentisch. Das galt für das Programm des in Wien gegründeten polnischen "Apollon Musagète Quartett" im besonderen Maße: Vor fünf Jahren waren die fabelhaften ARD-Wettbewerbssieger von 2008 schon einmal in Tutzing auf der Bühne des Konzertsaals der Evangelischen Akademie zu Gast bei den Musikfreunden Tutzing. Nun also in bereits vertrauter Umgebung.

Spricht man bei Puccini vom großen Kino, so ist es bei seiner Affinität zur Oper weniger verwunderlich als der Umstand, ihn in einem Kammermusikprogramm zu finden. "Crisantemi" entstammt aber auch einer Opernszene aus "Manon Lescaut" und vermag mit der Sterbeszene in dramaturgischer Bildhaftigkeit selbst rein instrumental Ergriffenheit auszulösen. Die vier Streicher ließen die Erzählung mit zarter Empfindsamkeit und mit Leidenschaft tief unter die Haut gehen. Beseelt und immer wieder dramatisch verdichtet konnte Puccini in seinen "Crisantemi" durchaus Schubert gefolgt sein. Gerade was die Intimität und fragile Zartheit der Rücknahmen betrifft.

Das behutsam ertastete Werk Puccinis erklang dennoch nicht zaghaft, im Grunde entschieden, vor allem in der klaren Dramaturgie der Trauer und des Schmerzens. Bei Schubert geht es in seinem Quartett G-Dur op. 161 freilich nicht um eine Opernszene. Sein eigenes Leben war aber schon Drama genug, wofür dieses Werk ein beredtes Zeugnis ablegt. Das Streichquartett, zwei Jahre vor Schuberts Tod entstanden, ist ein fortwährender Kampf der Emotionen, zwischen inniger Empfindsamkeit, spritzig-leichter Beschwingtheit, graziöser Galanterie und unendlichem Leid. Den ganzen Kosmos menschlicher Zerrissenheit brachte das Apollon Musagète Quartett auf die Bühne - stets behutsam changierend und selbst in Dur allenfalls andeutungsweise heiter oder strahlend.

Der Eindruck geballter Kraft, die Schubert kurz zuvor in der Uraufführung von Beethovens op. 130 samt "Großer Fuge" empfunden hatte, machte sich im Vortrag der Apollons deutlich bemerkbar. Trotz sperrig-schwermütiger Volksmusikalität des Finales stand auch das Quartett a-Moll op. 35 von Anton Arensky, ursprünglich für Violine, Viola und zwei Violoncelli vorgesehen, dieser Charakteristik nahe. Die Komposition von 1894 ist ein Epitaph für Tschaikowsky, das die vier einfühlsamen Klangbildner des Abends mit Wehmut, inniger Traurigkeit und erzählerischem Kontrastprogramm aufrichteten. Die Variationen über ein Thema Tschaikowskys boten dennoch Möglichkeiten, eine breite Palette der Ausdrucks- und Charakternuancen auszubreiten. Auch hier großes Kino: Mal virtuos, mal burlesk, schwärmerisch oder festlich.

Stets aber feinst austariert, was das Auditorium mit frenetischen Schlussovationen würdigte .

© SZ vom 28.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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