Tutzing:Kuriositäten der Klassik

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Das BR-Symphonieorchester glänzt mit bemerkenswertem Programm

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Es war so etwas wie das musikalische Kuriositätenkabinett des 20. Jahrhunderts, was die Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Kammerkonzert in der Evangelischen Akademie Tutzing aufs Programm gesetzt haben. Hier wurde deutlich, was "Neue Musik" auszeichnet: keine inhaltlichen Tabus, keine tradierten Ensemblebesetzungen, gesellschaftskritische und politische Statements. Zumindest, wenn man bei der Kammeroper "Death Knocks" von Christian Jost (geb. 1963) davon absieht, auf Franz von Kobells "Brandner Kasper" zu verweisen. Die Satire von Woody Allen (erschienen 1968), die dem Libretto zugrunde lag, geht weit über die Mundartvariante vom bayerischen Sturkopf hinaus.

Nicht zufällig ist der gewiefte Kartenspieler ein wohlhabender Textilfabrikant, Nat Ackermann (Christof Hartkopf, Bariton), der mit Verhandlungsgeschick selbst den Tod spielend zu ruinieren vermag. Dies sind Bezüge zur bitteren Realität, die zudem die Moral des von Strawinsky vertonten Märchens "Die Geschichte vom Soldaten", auf das sich Jost mit gemischtem Instrumentarium bezieht, ad absurdum führt: Reichtum gewinnt. Dass der Tod in diesem Fall eine attraktive Frau (Rachael Wilson, Mezzosopran) ist, dürfte eine persönliche und böswillige Spitzfindigkeit Allens gewesen sein. Die musikalische Erzählung setzten Sänger und Instrumentalisten hier in enger Zusammenarbeit um. Der Einsatz der Instrumente kommentiert die Aussagen minutiös, den die BR-Symphoniker (Bläser, Schlagzeug und Kontrabass sowie Peter Riehm an der Violine) und Gesangssolisten hochdramatisch zwischen schrillen Dissonanzen und atmosphärischer Klangmalerei weit auffächerten.

Vom Klanglichen und Spieltechnischen her ging es in erster Linie um die Aussage und Spielwitz mit Doppelzüngigkeit. Hindemiths "Musikalisches Blumengärtlein und Leyptziger Allerley" erreichte dies durch die Besetzung. Werner Mittelbach (Klarinette) und Teja Andresen (Kontrabass) forcierten allerdings nicht die Parodie darin, sondern suchten den werkimmanenten Witz im Kontrast beider Instrumente. Humor als Gegenpol zur Tragik des Ersten Weltkrieges ist freilich nur dann wirkungsvoll, wenn er sich vom Klamauk fernhält. Auch Susanne Sonntag am Kontrafagott ließ sich mit der "Bassnachtigall" von Erwin Schulhoff auf keine Clownerei ein.

Sowohl Hindemith als auch Schulhoff mussten zu barocken Vorbildern greifen, um ihre musikalischen Scherze in eine Traditionsfolge zu stellen. Klassik, Romantik, Spätromantik und Impressionismus haben das Lachen verlernt. Und auch das spätere 20. Jahrhundert schlug andere Seiten des Humors auf. Mauricio Kagel rief 1978/79 mit Bläsern und Schlagzeug einen makabren Possenreißer auf den Plan, um in "Zehn Märsche um den Sieg zu verfehlen" die Absurdität militärischer Rhetorik zu entlarven mit Aggressivität, aber auch schon mal in der Art einer Drehorgel. Mittelbach (auch am Sopransaxophon), Sonntag, Hannes Läubin (Trompete), Thomas Horch und Joseph Bastian (beide Posaune) sowie Christian Pilz (Schlagzeug) versagten dem Werk keine Schärfen zur eindringlichen Pointierung.

© SZ vom 08.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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