Goethe in Tutzing:Felix und der Dichterfürst

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Von Zelter bis Schubert: Sopranistin Cornelia Beck-Kapphan und die beiden Pianisten Barbara Sarlangue und Stephan Beck. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Sängerin Cornelia Beck-Kapphan und ihre Mitstreiter erkunden in Tutzing Goethes Einfluss auf die Musik

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Die Salonatmosphäre in der Tutzinger Galerie am Rathaus zwischen feinsten Antiquitäten und den aktuell ausgestellten Gemälden von Sabina Bockemühl bietet den idealen Rahmen für solche Experimente: "Kennst Du das Land. . ." betitelte die Garatshausener Sopranistin Cornelia Beck-Kapphan das von ihr konzipierte Programm. Gewiss, das Land, wo die Zitronen blüh'n, kennt jeder. Doch das Kapitel Johann Wolfgang von Goethe und die Musik ist in ihrer Tragweite wohl eher nur wenigen Spezialisten bekannt.

Es geht dabei nicht um den musikalischen Output des Dichters am Klavier und Cello. Das war eine eher mittelmäßige Leistung, wenn auch für das Universalgenie eine Horizonterweiterung. Vielmehr ist Goethes Einfluss auf die Musik als Textdichter und Ästhetik-Philosoph, der enge Beziehungen zur Welt der Musik pflegte, das Thema. Mit der Pianistin Barbara Sarlangue als Liedpartnerin sowie Stephan Beck als deren Mitspieler im vierhändigen Klavierduo konnte Beck-Kapphan das Thema mit Texten und Musiken nur anreißen, bietet es doch alleine durch die Gedichtvertonungen ein weitläufiges Feld.

Zwei gegensätzliche Komponisten waren für Goethe von besonderer Bedeutung: der nur neun Jahre jüngere Carl Friedrich Zelter, der mit dem Dichter eng befreundet war, sowie Felix Mendelssohn, der 1821 als 12-Jähriger bei ihm eine Weile verbringen durfte und dem Dichterfürsten täglich am Klavier vorspielte. Während Zelter, den biedermeierlichen Geschmack mitformend, den ästhetischen Idealen Goethes sehr nahe stand, wie das monotone Strophenlied "Der König von Thule" zeigte - ähnlich auch "Heideröslein" von Johann Christoph Kienlen und "Das Veilchen" von Johann Friedrich Reichardt -, konnte ihn der damals als avantgardistisch empfundene Mendelssohn als Komponist nicht überzeugen. "Ich höre sie (die Musik) mit Vergnügen, Anteil und Nachdenken, liebe mir das Geschichtliche, denn wer versteht irgend eine Erscheinung, wenn er sich von dem Gang des Herankommens (nicht) penetriert?", schrieb Goethe an Zelter, anschließend voll des Lobes über das einsichtige Verhalten von Felix. Dennoch: Das in Tutzing zu hörende "Lied ohne Worte" op. 67/1 für Klavier zu vier Händen wie auch das klagend-melancholische "Suleika" zeigten, dass auch Mendelssohn dem Einfluss des Dichters zeitweise erlegen war.

An Goethe führte für zeitgenössische Komponisten und Musiker kein Weg vorbei, auch wenn seine musiktheoretische "Tonlehre" wohl wenig Wirkung hinterließ. Seine Singspiel- und Opernlibretti kamen nie zur Vertonung, genauso wenig wie die Musik zu "Faust". Dass Mendelssohn Goethe auch Werke seiner Schwester Fanny vorspielen durfte, war der Grund, die selten gespielte Komponistin mit der vierhändigen Nr. 3 aus "Vier Stücke" und dem sehnsüchtigen Lied "Mignon" ins Programm zu nehmen. Clara Wieck (später Schumann) wurde dem 82-jährigen Goethe als Pianistin vorgestellt - in Tutzing mit einem Marsch von 1879 zu hören.

Beck-Kapphan versuchte nicht, Goethes Rolle in der Musik zu idealisieren. Kritische Begebenheiten blieben nicht aus. Etwa, dass Beethoven, den Goethe nach einer Begegnung 1812 als "ungebändigte Persönlichkeit" überlieferte, Kritik an der engen Verbundenheit des Dichters mit dem Hof kritisierte. Dieses fürstenhafte Gebaren war wohl der Grund für Schubert, ihn in einem Brief als "Eure Exzellenz" anzureden. Die Antwort blieb aus, hatte Goethe doch den Genius in Schubert nicht erkannt. Noch mehr als Beethoven bewegte sich Schubert mit seinen Gedichtvertonungen aufs dramaturgisch voll durchgestaltete Lied zu, wie Beck-Kapphan und Sarlangue in einhelliger Emotionalität belegten. Diese musikalische Inszenierung überforderte Goethe offenbar, erfreute aber in Tutzing das Publikum, das eine Rarität in der Zugabe serviert bekam: eine gesungene Liedstrophe von "Nähe des Geliebten" als Thema der folgenden Variationen für Klavier zu vier Händen.

© SZ vom 14.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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