Tod in der Starnberger Polizeiwache:Sieben Schüsse und viele Fragen

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Im Vorraum der Starnberger Inspektion kam es zum tödlichen Streit. (Foto: dpa)

Die Familie des Opfers fordert konsequente Aufklärung, doch damit sieht es derzeit schlecht aus: Zwei Monate, nachdem Polizisten in der Starnberger Inspektion einen geistig Verwirrten erschossen haben, dauern die Ermittlungen an - Ergebnisse gibt es immer noch nicht.

Von Christian Deussing

Die drei Polizisten feuern sieben Schüsse ab. Sechs Kugeln treffen den 72-jährigen Mann an Beinen, Armen und am Rumpf. Ein Projektil trifft ihn in den Kopf. Heinrich W. bricht tot zusammen. Das sind die gesicherten Tatsachen dessen, was am Freitag, 7. Juni, in der Starnberger Polizeiinspektion geschah. Ansonsten sind auch zwei Monate nach den tödlichen Schüssen mehr Fragen offen als geklärt. Die Ermittlungen dauern an, heißt es. Doch die Angehörigen von Heinrich W. hegen mittlerweile Zweifel, ob diese Untersuchungen je zu einem Ergebnis führen werden.

Der psychisch kranke Heinrich W. hatte im Flur der Polizeiinspektion randaliert und die herbeigeeilten Beamten mit einem langen Küchenmesser angegriffen, auch das ist noch unstrittig. Aber erschossen die Polizisten den Rentner wirklich in Notwehr? Waren die Schüsse aus den Dienstpistolen die einzige Chance, den aggressiven Mann zu stoppen? Warum hat das eingesetzte Pfefferspray nicht geholfen? Die Ermittlungen des Landeskriminalamtes (LKA) zu diesen Fragen dauern an.

Aufwendige Ballistik

Noch immer fehlen das ballistische Gutachten und das schriftliche Ergebnis der Obduktion. Dem Vernehmen nach sei aber mit "keinen Überraschungen" zu rechnen. Das könnte heißen: Die Ermittlungen bestätigen die Version der Beamten, die sich auf Notwehr berufen. Der zuständige Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich will den Fall aber rechtlich noch nicht bewerten. Alles drehe sich um die entscheidende Frage: Gab es eine lebensbedrohliche Situation und wurde darauf adäquat geantwortet?

Um das zu klären, wird mit großem Aufwand der Ablauf der Tat rekonstruiert. Der Tatort wurde mit einer 3-D-Kamera abgescannt. Die Schilderungen der Polizisten werden mit den Spuren und dem ballistischen Gutachten abgeglichen. Mit solchen Expertisen hat Ulrich Puchner reichlich Erfahrung. Der promovierte Physiker war früher Vizechef des Kriminaltechnischen Instituts im LKA.

Zum Starnberger Fall darf er nichts sagen, sehr wohl aber zu Erkenntnissen, die die Ballistik liefern könne. "Jede Waffe hinterlässt individuelle Spuren", sagt Puchner. So sei zu klären, welcher Polizist wohin aus welcher Distanz geschossen hat. Die Experten prüften den Winkel, die Schussrichtung, Treffer und Abpraller. Die gesamte Flugbahn werde in einer "Vielzahl von Parametern" rekonstruiert, erklärt Puchner.

Verwandte wollen Klarheit

Am schwierigsten sei es dabei, die Chronologie exakt zu bestimmen, wenn Schüsse innerhalb von wenigen Sekunden abgegeben werden - wie offenbar am 7. Juni in Starnberg. Das ballistische Verfahren sei deshalb so aufwendig, dass beweiskräftige Resultate oft erst nach Monaten vorlägen.

Die Familie von Heinrich W. fordert eine konsequente Aufklärung des Falls. Sie ist überzeugt davon, dass die Starnberger Beamten falsch reagiert haben. "Aber das läuft alles bestimmt auf Notwehr hinaus", sagt ein Cousin des Getöteten der SZ. Er fürchtet, dass die Justiz gar kein Ermittlungsverfahren einleiten werde. Der 67-Jährige will daher im Namen der Hinterbliebenen zumindest einen Brief an Norbert Reller schreiben. Er ist Chef der Starnberger Polizeiinspektion; bei der Messerattacke von Heinrich W. stand er selbst vor dem Mann - und schoss auch auf ihn.

© SZ vom 16.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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