Tausendsassa Ludwig Seuss:Allrounder aus dem Sperrbezirk

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Ludwig Seuss, Pianist der unverwüstlichen "Spider Murphy Gang", lotet mit seiner eigenen Band die Spielarten des Blues aus. Nebenbei kümmert sich der Gautinger noch um die Jazz-Reihe im Bosco

Von Gerhard Summer, Gauting

Es gibt Platten, die sind Glücksfälle. Die "Downhill Sessions Part II" der Ludwig Seuss Band und ihrer Gäste gehören unbedingt dazu. So unglaublich lässig, rauchig, erdig und pur spielen Deutsche sonst nicht den Südstaaten-Blues. Wer sich bei ein paar Songs an Lowell Georges Little Feat und an Ry Cooders "Crazy 'bout an Automobile" erinnert fühlt, muss womöglich umdenken. Denn Seuss und seine Mitstreiter interpretieren Traditionals und gute alte Songs von Son House, Robert Higginbotham, Clarence Garlow und Louisiana Red, an denen sich vorher schon George, Cooder und andere orientiert haben dürften. Eine Stunde dauert das Vergnügen. Und das vielleicht Schönste an dieser scheinbar ad hoc entstandenen Aufnahme ist, dass sich keiner der Musiker in den Vordergrund spielt oder sich etwas beweisen muss - weder Abi Wallenstein noch Lynn August, Manfred Mildenberger oder gar Ludwig Seuss.

Für den Bandchef ist das ohnehin typisch. Wer ihn nicht kennt, käme kaum auf die Idee, dass er gerade einem der wichtigsten Blues- und Boogie-Pianisten dieser Republik gegenübersteht. Einem Musiker, der sich als "Teamplayer" sieht und sogar dann noch bodenständig klingt, wenn er's auf dem Flügel perlen und funkeln lässt. Einem Allrounder mit Vorliebe für stilistische Spielarten wie Zydeco und Cajun, der zudem exzellent Orgel und Akkordeon spielt. Dem Mann, der für die Spider Murphy Gang in die Tasten greift, vor mehr als 20 Jahren seine eigene Band gegründet und mit ihr mittlerweile 17 Platten eingespielt hat. Denn Seuss macht kein Aufhebens um sich. Er gehört nicht zu denen, die immer Eindruck schinden oder im Gespräch dauernd Recht haben müssen. Der Mann mit dem kantigen Gesicht ruht scheinbar in sich.

Das Extravaganteste an ihm sind noch seine Kopfbedeckungen, seine Kappen, Baskenmützen und Hüte. Doch von Starallüren ist der 52-Jährige, der mit seiner Lebensgefährtin und seinen zwei Töchtern in Gauting lebt und nebenbei mit Amelie Krause für die Jazz-Reihe des Kulturhauses Bosco verantwortlich zeichnet, mindestens so weit entfernt wie der tiefste vom höchsten Ton auf dem Klavier, also siebeneinviertel Oktaven.

Als Musiker lotet Seuss "alle Facetten des Blues aus", wie er sagt. Aber er hat auch eine Schwäche für Country und Soul, für Neil Young und die alten Beatles- und Stonessongs, für Jazzer von Count Basie bis Thelonious Monk. Wenn es darauf ankäme, könnte er sogar Bach-Fugen spielen. Schließlich hatte er nach dem Abitur am Pasinger Gymnasium vier Jahre Klassikunterricht bei Lehrer Erich Ferstl. Zu seinen Idolen gehören Dr. John und Professor Longhair, Fats Domino, Jerry Lee Lewis und Otis Spann. Und seine besondere Vorliebe gilt, seit er mit 17 oder 18 den Akkordeonisten Clifton Chenier gehört hat, der Musik aus Louisiana: Cajun und Zydeco, die so ähnlich klingen wie Chicago-Blues, "aber mit Polka, Walzer und anderer Volksmusik vermischt sind und als eine der Grundlagen des Rock'n'Roll gelten", wie Seuss erklärt. Anfang der Neunzigerjahre war er mit dem Pianisten Christian Willisohn in New Orleans. Sie lernten die Rhythmusgruppe von Fats Domino kennen, spielten in etlichen Clubs im berühmten "French Quarter", traten auf einem Festival auf und begleiteten die Sängerin Lilian Boutté, mit der Seuss anschließend auf Deutschland-Tour ging.

Schon damals mischte der Früheinsteiger im Musikgeschäft mit. Mit 17 hatte Seuss, der vormals in der Würmtal-Schülerband Creepy Lane dabei war, seine erste Platte aufgenommen. Mit 19 kam er in die Münchner Clubszene, als Gitarrist Nick Woodland dringend einen Pianisten für einen Gig an Silvester suchte und Seuss fand. "Eine tolle Zeit, das waren die letzten Jahren der guten Live-Musik in München." Und mit 20 heuerte er bei den Spiders an: Bei einer Studioaufnahme hatte er Franz Trojan und Barney Murphy kennengelernt, zwei der Gang-Mitbegründer. Als Pianist Michael Busse 1986 aus der Truppe ausstieg, "lag es nahe, dass sie mich fragten", sagt Seuss. Für den Gautinger war das "eine tolle Gelegenheit, bei einer angesagten Band einzusteigen", den Pionieren des bayerischen Rock'n'Roll, die 1980 ihren Durchbruch hatten und Hits wie "Skandal im Sperrbezirk" und "Schickeria" nachlegten. 70 bis 80 Gigs im Jahr spielte die Gruppe zu ihren Hochzeiten, wie Seuss sagt, heutzutage seien es 40 bis 50, oft tourneeartig geblockt, sodass dem Pianisten noch Zeit bleibt für 50 Auftritte mit der eigenen Band.

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Seit drei Jahrzehnten ist er jetzt bei den unverwüstlichen Spiders dabei, im Oktober feiern die Recken ihr 40-jähriges Bestehen mit zwei Konzerten in der Olympiahalle. Und so viel Treue hat auch damit zu tun, dass Seuss bei dieser Band keine großen Kompromisse machen muss: "Die spielen natürlich keinen Slow-Blues. Ich muss mich aber auch nicht verbiegen, um bei den Spiders Klavier zu spielen."

Mit seiner eigenen Formation stürzte er sich zunächst auf Boogie-Woogie "und Barrelhouse-Sachen" - also den schlichten Stil, den Musiker Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA erfanden, als sie ihre Musik von der Gitarre aufs Klavier übertrugen. Bald kamen Louisiana-Einflüsse dazu, zwischendrin machte Seuss auch zwei Platten mit Orgel-Instrumentals. Mit der neuen, 17. CD ist er wieder zu den alten Zeiten zurückgekehrt, wie er sagt, und hat sich unter anderem an ein Schlachtross wie den "Honky Tonk Train Blues" gewagt. "Eine Nummer, die ich liebe und seit 20 Jahren spiele, aber eigentlich gar nicht aufnehmen wollte. Aber dann haben wir es doch auf unsere Art eingespielt."

Platten sind für Seuss "Fanarbeit": Sie verkaufen sich nicht wirklich, er hält sie aber als "Momentaufnahme" für wichtig. Nebenbei mischt der Pianist im Gautinger Bosco mit, er ist seit zwei Jahren dafür zuständig, die auserkorenen Künstler der Jazz-Reihe zu kontaktieren. Er hat schon den Trompeter Leroy Jones ins Kulturhaus geholt und den Percussionisten Biboul Darouiche aus Kamerun. Sein Traum wäre es, Saxofonisten wie Branford Marsalis oder James Carter nach Gauting zu locken. "Musik ist mein Leben" klingt vielleicht ein wenig pathetisch, Ludwig Seuss sagt es trotzdem so. Das Einzige, "was mir nicht mehr ganz so Spaß macht, ist das Reisen." Doch zum Glück sind die Spider Murphy Gang und auch seine eigene Band Lokalmatadoren. "70 Prozent der Gigs sind im Umkreis von 150 bis 200 Kilometern um München herum."

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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