Stockdorf:Große Illusionen - enorme Zwänge

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Der Stockdorfer Bernd Horn floh mit 20 Jahren über die grüne Grenze nach Westdeutschland in den vermeintlich goldenen Westen. Hier begann er bei Null. (Foto: Nila Thiel)

Therapeut Bernd Horn hat in einem Buch seine deutsch-deutschen Erlebnisse verarbeitet und zieht Parallelen zur Situation der Flüchtlinge heute

Von Blanche Mamer, Stockdorf

"Als Therapeut ist man gezwungen, darüber nachzudenken, was die Zeit uns zumutet. Die Diskussion um die Migranten hat in mir die Erinnerung an meine eigene Flucht wieder wach gerufen", sagt Bernd Horn aus Stockdorf. Man kennt ihn als Mitbegründer der inzwischen aufgelösten Bürgerinitiative zur Erhaltung der Umwelt in Stockdorf (BIS) und als langjährigen Mitkämpfer des Vorsitzenden Peter Rubin.

Bernd Horn, 1942 in München geboren, wuchs in Thüringen, der Heimat seiner Mutter, auf und floh mit 20 Jahren über die grüne Grenze in den vermeintlich goldenen Westen. Über sein Leben in den beiden deutschen Staaten hat er nun ein Buch geschrieben: "Mein Weg zur Freiheit. Deutsch-deutsche Erlebnisse", das im der Anthroposophie nahestehenden Novalis-Verlag erschienen ist.

Horn hatte den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee verweigert und war von der Uni Leipzig exmatrikuliert worden. Ohne große Vorbereitung machte er sich zusammen mit zwei Bekannten auf, um aus der DDR zu fliehen. Vom Grenzort Treffurt aus durchschwammen die jungen Männer die Werra und erreichten schließlich Heldra, ein kleines Dorf im Westen der Demarkationslinie. "Für mich am prägendsten war, dass ich fest davon überzeugt war, nun endlich in einem freundlichen freien Land zu sein. Doch schon bald merkte ich, dass sich niemand über unsere Ankunft freute. Im Gegenteil, es wurde von uns erwartet, dass wir dankbar sein sollten", erzählt der 75-Jährige. Hierin sieht er starke Parallelen zur heutigen Situation und zum Umgang mit den Flüchtlingen. Niemand verlasse seine Heimat und seine Familie gern. Es brauche schon eine besondere Notsituation, betont Horn.

Bei ihm sei es ein schleichender Prozess gewesen, erzählt er. "Schon in der späten Kindheit fühlte ich mich durch Doppelmoral betrogen", schreibt er. Seine Mutter war Bürgermeisterin, sein Vater Schulmeister und Parteimitglied und damit sozusagen öffentliche staatstragende Personen, doch für ihn kam die Ernüchterung noch vor Beginn des Studiums in Leipzig. Die angehenden Studenten wurden zu Bauarbeiten abkommandiert, eine Arbeit ohne System, ohne richtige Planung, ("in der Theorie Marx, in der Praxis Murks"), was ihn wütend machte. Als er sich weigerte, die "freiwillige Unterschrift" für den Wehrdienst zu leisten, wurde er nach mehreren Gesinnungsprüfungsgesprächen exmatrikuliert. Er setzte seine ganze Hoffnung auf die Flucht in den Westen, startete spontan. "Ich war so naiv. Ich hatte große Illusionen! Man kennt die Wirklichkeit nicht", sagt er dazu. Im Westen stieß er auch auf enorme Zwänge, die Freiheit war bei weitem nicht so rosig, wie er geglaubt hatte. "Wir hatten nichts, nur unsere Unterhosen", erklärt er. Als Mensch ohne Papiere und Zeugnisse musste er bei Null anfangen, das Abitur nachholen, auf Stipendien hoffen. Horn war ein zorniger junger Mann - "ein sturer Bock", wie er selbst sagt, - der auch in seinen neuen Wohn- und Studienorten Mainz und München immer wieder auf Widerstand stieß und aneckte. Sein Weg zum Psychoanalytiker und Psychotherapeuten war lang, doch er schaffte es und konnte 1988 eine eigene Praxis in München eröffnen. Über einen Bekannten kam er ins Würmtal, nach Stockdorf, wo er sich mit der Familie niederließ. Die beiden Töchter leben wieder in Villach, der Heimat seiner Frau.

Obwohl er Parallelen zwischen seiner Flucht und derjenigen der Migranten sieht, hat er sich bisher nicht in der Flüchtlingshilfe engagiert. "Mein Weg ist der politische. Ich war früher mal in der SPD engagiert, vor allem auf der lokalen Ebene, doch das ist vorbei. Ich nehme an Veranstaltungen teil und an Gesprächskreisen der Kirche und hoffe, dass ich damit zum Nachdenken anregen kann", meint er.

© SZ vom 11.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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