Starnberg:Strandsegler als Rettungsanker

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Arend Agthe zeigt "Karakum", einen Film über die dramatische Wüstenfahrt von zwei 13-Jährigen. Beim Filmfestival berichtet der Regisseur, wie ihm Breschnew den Weg nach Turkmenien geebnet hat

Blanche Mamer

Starnberg"Dass ich den Film Karakum machen konnte, hat mit Leonid Breschnew zu tun", erzählt Regisseur Arend Agthe beim Fünfseen-Filmfestival. Weil der mächtigste Mann der Sowjetunion Agthes Spielfilm "Flussfahrt mit Huhn" von 1984 gut fand, hat er ihn zu einer Vorführung nach Moskau in den Pionierpalast eingeladen. "Dort lief mein Film, auf russisch synchronisiert, vor 3000 Pionieren und danach gab es 150 Kopien für die Kinos der UdSSR", berichtet Agthe. Er durfte sich zwei Republiken aussuchen, um den Film zu begleiten, entschied sich für die nördlichste und die südlichste und kam so Mitte der 1980er Jahre nach Turkmenien, heute Turkmenistan, am Kaspischen Meer, mit Grenzen zu Iran, Afghanistan, Usbekistan und Kasachstan.

Fast 95 Prozent des Landes bestehen aus der riesigen Wüste Karakum, die den Titel zu Agthes preisgekröntem Kinderfilm von 1993 gab, ein Abenteuerfilm, den auch die Erwachsenen mögen und der nach fast 20 Jahren keineswegs veraltet ist. Bei seiner Promotionstour 1985 hat Agthe mit dem turkmenischen Filmemacher Usman Saparov verabredet, gemeinsam einen Film zu drehen. "Doch weder meine noch seine Briefe mit Drehbuchentwürfen kamen an", erklärt Agthe den schwierigen Vorlauf. Erst mit Michail Gorbatschow und Glasnost konnte Saparov mitschreiben.

Die Geschichte - Agthes Idee - handelt von Robert, einem 13-Jährigen aus Hamburg, der seinen Vater, Ingenieur bei einem Erdgasprojekt in der Wüste Turkmeniens, besuchen will. Doch der Lkw, der ihn und den gleichaltrigen Murad, Sohn eines einheimischen Hirtennomaden, dorthin bringen soll, bricht mitten in der Wüste zusammen. Pjotr, der Fahrer, macht sich auf, einen Brunnen zu finden, kommt aber nicht wieder. Nun sind die Jungs auf sich allein gestellt und ohne die Sprache des anderen zu verstehen, müssen sie einen Ausweg finden: Robert, wie Agthe ein passionierter Strandsegler, schafft es, mit Murads Hilfe aus dem Ladematerial ein solches Gefährt zu konstruieren. Zusammen mit einer Ziege starten die Jungs ins Ungewisse. Es wird eine spannende, aufregende und gefährliche Wüstenfahrt, bei der sie sogar Pjotr wieder finden . . .

Als wir mit dem Drehen anfingen, war die Sowjetunion in Auflösung. Von den fünf Millionen Rubel, die uns zugesagt waren, blieb über Nacht nicht mehr viel übrig, auch die Ausstattung, die wir von der russischen Armee bekommen sollten, musste schließlich gegen Bakschisch getauscht werden", berichtet der Regisseur dem Publikum in Starnberg. Beispielsweise wurde der schwere Armee-Truck der Marke "Kraz", auf den die UdSSR sehr stolz war, mit zwei Farbfernsehern bezahlt. Durch die finanziellen Probleme und die Erkrankung des turkmenischen Buben Murat Orasov haben die Dreharbeiten für mehrere Monate unterbrochen werden müssen.

Wegen des sandigen Wüstenwindes wurde mit drei billigen, robusten Wochenschau-Kameras gedreht, was die komplette Nachsynchronisation im Studio nötig gemacht hat. Auch der 13-jährige Murat, der im Film viel jünger wirkt, sei nach Hamburg gekommen, so Agthe. Mit Max Kullmann, alias Robert, einem Jungen aus Berlin, der bei einem Casting unter 400 Teenagern ausgewählt wurde, habe er sich gut verstanden. Beide haben etwas russisch gesprochen. Murat hat, so Agthe, mittlerweile eine Tochter, die in Moskau studiert und E-Mails schicken kann. Da in Turkmenistan eine streng-islamistische Diktatur herrscht, besteht keine weitere Kommunikationsmöglichkeit. Usman Saparov ist nach Moskau emigriert.

Fast wäre das Projekt noch am Geiz der Produktionsfirma gescheitert. Agthe berichtet, dass geplant war, den Prototyp des Strandseglers in Stahl in der Bretagne herstellen zu lassen. Danach sollte der Segler in Alu nachgebaut werden. Um Kosten zu sparen, blieb es bei der fast 700 Kilo schweren Stahl-Version. "Die Jungs konnten ihn nicht ziehen, somit waren etwa 30 Leute notwendig, um an unsichtbaren Schnüren zu ziehen und zu schieben", berichtet er. Der Film selbst hatte nicht viel Glück: Weil die Verleihfirma kurz nach dem Start Insolvenz anmelden musste, wurden alle Kopien zurückgezogen, der Film kam nicht regulär in die Kinos, er lief vor allem auf Festivals. "Ich habe mit fast allen Filmen Glück gehabt, doch mit diesem leider nicht", bedauert Agthe. Immerhin bekam Karakum 1994 den Unicef-Filmpreis.

© SZ vom 06.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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