Seefeld:Idylle auf 150 Quadratmetern

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Trotz eisiger Kälte genießen einige Camper ihren Urlaub am Pilsensee. Viele haben dort seit Jahrzehnten feste Plätze und entfliehen der Tristesse der Großstadt. In etlichen Fällen sind auf der Anlage sogar ihre Kinder groß geworden

Gerhard Summer

Seefeld Pilsensee, Camping Seefeld Pilsensee, Campingplatz. Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

Seefeld Manchmal fängt alles mit einem Zelt an. So einem Ding für zwei oder vier Personen. Nichts Besonderes. Aber der Ehemann ist gern im Freien, sogar wenn der Regen auf die Planen platscht. In ein Hotel würde ihn die Frau sowieso nicht kriegen. Also zieht sie mit. Jedes Wochenende wird das Zelt aufgebaut und wieder abgebaut. Was mühsam ist. Irgendwann schafft die Familie deshalb einen Wohnwagen an und bekommt ein kleines Grundstück auf dem Campingplatz zugewiesen. Die Kinder wachsen in der Zeltstadt am Pilsensee auf, mehr als vier Jahrzehnte gehen ins Land. Und was am Ende bleibt, sind der Wohnwagen, die Frau und oft ein Hund.

In diesem Fall ist es ein scheuer griechischer Hund. Er heißt "Lucky", weil er glücklicherweise aus der "Vernichtungsanstalt" gerettet worden ist, wie sein Frauchen sagt. "Lucky" klettert auf die Eckbank im mollig warmen Wohnwagen. Abends, wenn der Ofen ausgedreht ist, darf er mit unter die Bettdecke. Im Fernsehen läuft das ZDF-Mittagsmagazin mit einem Bericht über den Hamburger Tierarzt Specht, leider nur in Schwarz-Weiß. Irgendwas stimmt mit dem Gerät oder der Satellitenschüssel nicht, sagt die Münchnerin Annemarie Bichler (Namen geändert). Sie hat schon ein paar Sachen bereitgelegt, damit ihr Nachbar, ein gelernter Fernsehtechniker, das richten kann. Aber dummerweise "kommt er ned".

Ist kein Wunder. Laut Kalender sollte es Anfang April sein, aber draußen ist es kalt wie im Februar. Nur die ganz harten Dauercamper harren aus. Allenfalls drei dürften es heute sein, darunter auch Elfriede Lenz, die strumpfsockig vor ihrem Vorzelt steht und so aussieht, als wolle sie zum Frühjahrsputz starten, obwohl doch das Wasser erst am Montag aufgedreht wird. Dazu kommen noch ein paar Urlauber wie das Ehepaar Solms mit Hund "Sally", das aber auch schon wieder am Packen ist.

Die Touristen haben die besten Plätze auf dem zehn Hektar großen Gelände. 500 Stellflächen gibt es, 150 sind für Urlauber, wer zuerst dran ist, darf seine Zelte fast direkt am Wasser aufschlagen. "Sally" jagt einem Frisbee nach, der Pilsensee kräuselt sich im Wind, er sieht aus wie nasser grauer Asphalt. Am Ufer spielen zwei Kinder in Anoraks, ein paar Graugänse schnattern. Ein gelber Bagger brummt durch die engen Gassen, doch von Bauarbeiten ist sonst nicht viel zu sehen und zu hören, das wird wahrscheinlich noch. Denn die Eigentümer, die Grafen zu Toerring-Jettenbach, lassen den Campingplatz renovieren.

"Die Infrastruktur wird erneuert, Wasser, Strom und Abwasser", sagt Martin Zerhoch vom Rentamt des Unternehmens. Internetanschluss mit Wlan gibt es schon, angeblich wollen das 80 Prozent der Gäste. Zerhoch ist ein junger Managertyp mit gegeltem Haar, er ist anfangs skeptisch, wenn man mit ihm spricht, aber letztlich gilt für ihn, was auch die wenigen verbliebenen Camper auszeichnet: Alle sind freundlich und offen und nehmen sich Zeit für Besucher. Zerhoch sagt: Die Investitionen "gehen in den nächsten Jahren in den siebenstelligen Bereich", auch die Sanitärgebäude werden erneuert, momentan entsprechen Duschen und Toiletten noch dem Stand der achtziger Jahre.

Das Geld ist offenbar gut angelegt. Denn die Sache ist die: "Camping soll einer der Megatrends werden", sagt Zerhoch. Und wenn man ihn fragt, warum das so ist, fällt ihm als erstes ein Schlagwort ein. Er sagt also: "Zurück zur Natur". Ja, es gebe doch immer mehr Druck in der Gesellschaft, die Menschen müssten immer flexibler sein und hätten zwar mehr, aber immer kürzere Urlaube. Und deshalb "wollen sie ihre Ruhe und besinnen sich auf die Natur." Aber möglichst mit Komfort. Marktforscher sprechen bereits vom "Glamping", sagt Zerhoch, also dem glamorous camping.

Deutschland, deine glanzvollen Idyllen. Man könne sich jetzt lustig machen darüber, wie mancher Camper die große Freiheit auf 150 Quadratmetern gestaltet. Mit Hausnummern und Gartenzwergen. Auf den kleinen Grundstücken gibt es jede Menge Vogeltränken und Vogelhäuschen, mal in Natur, mal mit roten Herzen. Und an einem Eck wacht ein mannshoher Braunbär aus Holz. Kitsch, klar. Aber womöglich kommt es darauf nicht an. Viel wichtiger ist doch, dass es "nichts Schöneres als Campen gibt", wie Elfriede Lenz sagt.

Die 78-Jährige hat eine Wohnung in Augsburg, aber wann immer es geht, macht sie sich zu ihrem Wohnwagen am Pilsensee auf. Seit mehr als 40 Jahren hat sie dort einen festen Platz, angefangen hat auch bei ihr alles mit einem Zelt. Ihr Mann wollte es so. 1987 ist er gestorben. Ihr Sohn ist jetzt 60, ihre Tochter 55, die beiden sind keine Campingfans, obwohl sie am Pilsensee groß wurden. Doch Frau Lenz genießt die Freiheit in der Natur. "Ich geh' hier so, wie ich angezogen bin, das stört keinen", sagt sie. In der Wagenburg fühle sie sich so sicher, dass sie "auch nachts um 12" noch herumspaziert. Frau Lenz sagt: "Das ist fast wie eine Familie "man hat Bekannte und Nachbarn, einer hilft dem anderen."

Frau Bichler, 79, sieht das genauso. Für die Münchnerin ist der Platz am Pilsensee wie ein "zweiter Haushalt". Sie genießt das auch im Winter, wenn Schnee liegt. "Es is' a Freiheit, es is' einfach schee", sagt sie. Allerdings hat das Ganze seinen Preis: Allein das Vorzelt kostete 7000 Euro, für den Platz zahlt sie pro Jahr rund 2000 Euro mit Wasser, Abwasser, Strom und Müllgebühren. Auch der Hund kostet extra. Und dann muss sie natürlich noch Futter für die Vögel kaufen, "meine Vögel", sagt sie. "Lucky" hat sich auf der Eckbank eingerollt, die Sendung mit dem Tierarztnotdienst geht in Schwarz-Weiß zu Ende, vielleicht kommt der Nachbar morgen.

Das Ehepaar Solms wird morgen schon wieder auf Achse sein. Herr Solms war Koch, Frau Solms war Lehrerin, die beiden campen seit 17 Jahren. 2007 haben sie sich so etwas wie den Mercedes unter den Wohnmobilen angeschafft, ein Gefährt mit Fußbodenheizung und Backofen für 100 000 Euro, ein motorisiertes "kleines Ferienhaus". Ob es auch eine Sauna gibt? Nein, sagt Frau Solms und lacht, "goldene Wasserhähne haben wir auch nicht". Der Wagen ist sozusagen das Gegenstück zu den zwei "Schlaffässern", die der Campingplatz neuerdings für Leute ohne Ausrüstung bereit hält; seit vier Wochen wird der Urlaub in der Tonne angeboten, jetzt schon gibt es 40 Reservierungen dafür.

100 000 Euro sind viel Geld, aber letztlich rechnet sich das bei inzwischen 600 Übernachtungen im Wohnmobil, findet Herr Solms. Vor allem: "Man kann überall stehen bleiben." Gut, das hat seine Grenzen, in der Regel fahren die beiden immer an die selben Orte: an den Pilsensee, weil in Gilching ihr Sohn lebt, an den Gardasee und in die Toskana nach Cecina. Womit sich der Kreis schließt, weil Cecina der Partnerort von Gilching ist. Was das Ehepaar nicht wusste. Trotzdem, die beiden schätzen am Leben auf Rädern, "dass man unabhängig ist ". Herr Solms sagt: "Was ich früher nicht konnte, holen wir jetzt mit dem Wohnmobil nach."

© SZ vom 05.04.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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