Rezension:Jesus und der Gerichtsvollzieher

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Einige Geschichten aus "Sonne für alle" hat der Autor, Regisseur und Musiker Hanns Christian Müller bereits in Lesungen vorgestellt. Jetzt ist das Buch auf den Markt gekommen. (Foto: Georgine Treybal)

Hanns Christian Müller beschwört in seinem neuen Buch "Sonne für alle" eine Zeit herauf, in der es vor schrillen Typen wimmelte

Von Gerhard Summer, Breitbrunn

Als Satire-Duo und im Trio mit Gisela Schneeberger waren sie unschlagbar, aber wie es halt so kommt: Nach zehn Jahren "Fast wia im richtigen Leben", nach "Kehraus", "Man spricht deutsh", Stücken wie "Exoten" und "Tschurangrati" und dem schon schwächelnden Sandalenfilm "Germanikus" beendeten Gerhard Polt und Hanns Christian Müller 2006 ihre Zusammenarbeit. Nein, es gab angeblich keinen Streit, doch machte das die Sache besser? Zwei getrennte Hälften ergeben halt leider kein Ganzes mehr.

Polt merkt man das noch am wenigsten an. Als Solokabarettist ist er immer noch ein Gigant. Allerdings liest er zwischen seinen Paradenummern neuerdings erstaunlich müde Lausbubengeschichten, die ihm sein Co-Autor und Produzent früher vielleicht ausgeredet hätte. Und Müller? Ihm fehlt auf der Bühne die Lakonie, der Biss und die Präsenz eines Polt, seine Auftritte mit dem Bluesgitarristen Ron Evans gleichen mehr heiteren Sponti-Abenden. Wobei schon klar ist: Polt und der musizierende, Geschichten vortragende Müller, das sind zwei Welten, die man kaum miteinander vergleichen kann.

Nun ist auf den Markt gekommen, was der in Breitbrunn lebende Tausendsassa Müller schon seit längerem angekündigt hatte: sein neues Buch "Sonne für alle". Das 223 Seiten starke und trotzdem in einem Zug zu lesende Werk ist zum Glück mehr Episodensammlung als saumselige Lebenserinnerung. Und nebenbei auch eine Art Bestätigung für Nostalgiker, die davon überzeugt sind, dass die Leute früher einfach schräger und die Zeiten wilder waren. Müller schreibt einfach und ohne Girlanden, unter den 38 kurzen Geschichten finden sich auch allgemeine Betrachtungen über das Haustier und den Schlagzeuger an sich. Daneben geht es um Behördenwillkür und die Absurditäten in der Ex-DDR. Schön und gut. Aber seine wirkliche Stärken entwickelt der Musiker, Regisseur, Produzent und Autor, der schon Hits für die Toten Hosen fabriziert hat, wenn er all die skurrilen Typen porträtiert, die ihm in Schwabing oder am Ammersee über den Weg gelaufen sind. Eine ganze Galerie der Außenseiter, Lebenskünstler, Verzweifelten und Schmarotzer tut sich da auf. Insofern passt auch der Buchtitel: Müller bringt Licht in den Schatten.

Einigen Gestalten wäre er vielleicht besser aus dem Weg gegangen, doch bei ihm ist offenbar die Neugier auf Menschen und Geschichten stärker. So kommt es, dass er Jesus in seiner Isetta durch München kutschiert, einen Anhalter, der sich als vom Leben gebeutelter Medizinstudent erweist. Dass er sich von einem fiesen Kerl mit "Schweinskopf" immer wieder um 20 Mark erleichtern lässt.

Und den ähnlich unangenehmen Freund seiner Schwester, der kurz vor der Erfindung einer Sonnenbatterie steht, nicht gleich aus der Wohnung wirft. Andere Typen sind selber arme Schweine, allen voran das undefinierbar alte Bemmerl von der Amalienstraße, eine Fuchzgerl-Schnalle, also eine Prostituierte, die ihre Dienste schon ab 50 Pfennigen anbietet, und der schmierige Heinz vom Automatenladen, der so schön über Reinlichkeit redet, während ihm eine Wanze von der Weste aufs Sakkorevers krabbelt.

Seinen eigentlichen Witz entwickelt dieses von Widersprüchen, kleinen Mogeleien und großen Ungerechtigkeiten handelnde Sammelsurium, genau in solchen Szenen: wenn die Absurdität wie nebenbei um die Ecke biegt. Was also macht Gerichtsvollzieher Wallner, der 43,80 Mark Kirchensteuer von Müller eintreiben will? Er einigt sich mit ihm auf einen Anzahlung von 20 Mark. Und weil Müller nur einen Hunderter hat, wechselt er das Geld im Schreibwarenladen nebenan und kehrt mit 80 Mark wieder zurück.

Natürlich kommen in "Sonne für alle" auch die Berühmtheiten vor, mit denen Müller zu tun hatte: Maximilian Schell, der kluge Gentleman Samuel Beckett, die Toten Hosen. Einen Ausflug in ein Starnberger Wirtshaus, zusammen mit Gerhard Polt, hat Müller ebenfalls festgehalten. Am Nebentisch sitzt ein älterer Herr, der einige Bier intus hat und mit einem Mal eine Suada vom Stapel lässt, die schon in den "Kehraus" eingegangen ist: "Die Pharaonen haben auch schon Kriege geführt! Das weiß man heute. . . Und wenn oana net pariert hat, Hackn neischlagn, a gescheider Fuaßtritt und ab in Stoabruch. . ., na pfeift eahna a jede Ideologie zum Arschloch naus!"

Hanns Christian Müller, "Sonne für alle", Geschichten ganz wia im richtigen Leben, 2017, PPV Medien GmbH, 19,90 Euro.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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