Premiere:Musikalische Coups

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Manfred Frei aus Gauting, der Erfinder des Münchner Klaviersommers, hebt eine neue Jazzreihe in der Schlossberghalle Starnberg aus der Taufe

Von Gerhard Summer, Gauting

Ach ja. Peter Shukat, der Manager von Miles Davis, machte eine kleine Pause. "By the way", dieser Deutsche sei gerade in seinem Büro. Ja, dieser Manfred Frei, der Mann, der auch den schönen Konzertfilm produziert habe. Ob Miles mit ihm sprechen wolle?

Manfred Frei spielt die Szene nach. Er sitzt auf der ockerfarbenen Couch im altmodisch wirkenden Wohnzimmer seines Gautinger Hauses mit Kamin, großer Stereoanlage, CD-Stapeln und Blick in den gepflegten Garten und hält die linke Hand hoch, so wie man einen Telefonhörer hochhält. Ein schmaler älterer Herr mit grauen Haaren, an dem als erstes die ungemein wachen, dunkelbraunen Augen auffallen. Frei imitiert Miles: Was machst Du gerade? Hast du Zeit, auf einen Kaffee vorbeizukommen? Er lässt seine Hand zittern, als wäre er ein ehrfürchtig bibbernder Teenager, der gerade zur Geburtstagsparty seiner Angebeteten eingeladen wird. Denn damit hatte er nicht gerechnet: dass der große Miles ihn zu sich nach Hause bitten würde. Er antwortet: "I can come." Central Park South, das ist die Adresse. Yes, sagt er, und noch einmal, fast ungläubig: Yes. Seine Stimme klingt heißer und rau, fast so heißer und rau wie die von Miles Davis.

Die Begegnung zwischen dem Besucher aus Deutschland und dem Trompeter, Bandleader und Komponisten aus Illinois, dem wohl innovativsten unter den Jazz-Giganten des 20. Jahrhunderts, ist 27 Jahre her. Sie begann mit einem kurzen Telefonat und endete mit einem fünfstündigen Gespräch in Davis' 200-Quadratmeter-Wohnung. Und sie erklärt vielleicht auch, warum es Frei und seiner Firma Loft Music GmbH über zweieinhalb Jahrzehnte gelungen ist, die besten Jazz-Musiker dieses Planeten und viele Klassik-Stars in München zusammenzutrommeln.

Denn Frei und sein Team waren und sind keine arroganten Abkassierer. Nein, da waren Musikliebhaber am Werk, die ihre Platten von Errol Garner, Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Benny Goodman, Teddy Wilson und Lionel Hampton wie Schätze hüteten, die sich selbst nicht so wichtig nahmen und dafür ihre Künstler auf Händen trugen. Der 74-Jährige, der nun mit der Eventmanagerin Irina Frühwirth eine neue Jazzreihe aus der Taufe hebt, diesmal in Starnberg, sagt es so: "Wir haben sie geehrt und geliebt, und wir waren geschmeichelt, wenn sie sich privat mit uns einließen." Wie also das Gespräch mit dem Musiker und Maler Miles Davis ablief, für den Frei die erste Ausstellung seiner Zeichnungen und Gemälde 1988 in Europa organisierte? "Eine nette, freundliche Unterhaltung eines Genies mit einem Bewunderer."

Frei war auch zu Hause bei Chick Corea in Clearwater, Florida, und in der Posthaus-Wohnung des Enfant terrible Friedrich Gulda am Attersee. Er gilt als Grandseigneur und Ausnahmeerscheinung unter den Konzertveranstaltern. Schließlich hat er den legendären Münchner Klaviersommer erfunden und war Mitveranstalter der Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen, Koproduzent von Konzerten der Salzburger Festspiele und der Münchner Opernfestspiele.

Doch mehr noch als auf Weltgewandtheit kam es ihm immer auf die überraschende Kombination an, auf den Coup. In München brachte er zusammen, was bis dato getrennt war: Jazz und Klassik, die Improvisations- und die Interpretationsgenies, die Abenteurer des Bebop, Cool-, Acid- und Modern Jazz und die Gralshüter von Suite und Sonate. Beim Klaviersommer spielte Gulda mit Chick Corea, Carlos Santana mit Wayne Shorter und Oscar Peterson mit Ray Brown. Die Liste der von Loft vertretenen Künstler liest sich denn auch wie ein Musiklexikon: von A wie Roberto Abbado und Martha Argerich bis Z wie Joe Zawinul und Pinchas Zukermann. 2500 bis 3000 Konzerte dürfte Frei in den vergangenen 35 Jahren veranstaltet haben, die Clubgigs und die Auftritte junger Stars auf Bühnen in Gauting, Fürstenfeldbruck, Pullach, Landsberg und München miteingerechnet. In dieser Zeit entstanden auch 300 Konzertfilme, Fernseh- und Videoproduktionen mit Überlänge, gemessen am heutigen Trend zum Schnipsel. Dabei kommt Frei, der Mann des musikalischen Brückenschlags, aus der Wirtschaftsbranche. Der gebürtige Berliner, der mit acht Jahren Klavier lernte und einst in kleinen Jazzclubs auftrat, hatte in München Volkswirtschaft und Soziologie studiert. 1970 heuerte er bei einer Baustoff- und Agrarfirma an, bald war er Marketing-Chef. Zehn Jahre hielt er es bei dem Unternehmen aus. Dann hatte er genug von der modernen Kriegsführung ,die sich Marktwirtschaft nennt: "Ich musste Dinge tun, die dem eigenen Haus nutzten und der Konkurrenz brutal schadeten."

Frei gründete mit einem Partner seine Music GmbH. Die Zwei arbeiteten im Loft eines alten Brauerei-Lagerhauses an der Münchner Kirchenstraße, daher der Firmenname. Was folgte, war eine rasante Erfolgsgeschichte: 25 Jahre Klaviersommer. Herbie Hancock kam zehn Mal nach München, Keith Jarrett war in drei, vier Konzerten zu hören. Chick Corea gastierte 15 Mal an der Isar. Oscar Peterson trat vor 2400 Leuten in der Philharmonie auf, er kam in einem Rollstuhl auf die Bühne, gezeichnet von einem Schlaganfall. "Und der ganze Saal stand auf - das war unheimlich schön", sagt Frei. Der wichtigste Mann für das Loft-Team war damals der "einsame Gigant" Gulda, der mal im T-Shirt, mal nackt auftrat: "Er war an einer Öffnung interessiert, er wies uns den Weg" zur aufregend friedlichen Koexistenz von Jazzern und klassischen Musikern.

Als es um die Finanzierung ging, kam der Kaufmann Frei ins Spiel. Immerhin waren schon damals die Gagen gewaltig. Oscar Peterson verlangte 50 000 Dollar für einen Abend, dazu kamen die Ausgaben fürs Luxushotel. Miles Davis und Band wollten 80 000 Dollar, der Dollar stand bei etwa drei Mark. Frei kam ein Glücksfall zu Hilfe: ARD, ZDF und BR, später auch 3-Sat, Arte und WDR, rissen ihm die Musikfilme aus den Händen, die Frei von freien Kameraleuten und Toningenieuren bei den Konzerten machen ließ. Damals hieß es noch: "Also wenn Sie Oscar Peterson bringen - Geld spielt keine Rolle." Der Klaviersommer mit Kosten von 1,5 Millionen Mark pro Jahr - finanziert durch Bild und Ton.

Heute, sagt Frei, wäre ein solches Festival nicht mehr möglich, schon allein deshalb, weil keine Fernsehanstalt mehr richtig Geld für ein abgefilmtes Zwei-Stunden-Konzert zahlen würde. Außerdem gehen Jazzer und Klassik-Interpreten längst wieder getrennte Wege. Doch Frei will auch in seiner neuen Reihe "All That Jazz" in Starnberg zumindest an einem alten Vorsatz festhalten: die Zuhörer immer wieder zu überraschen. Gut, der Auftakt mit Klaus Doldingers Passport, Barbara Dennerlein & Bebap, dem Ex-Drummer der Spencer Davis Group, Pete York, und den "Gospel People" aus New York, zwingt einen noch nicht vor Staunen in die Knie. Auch wenn da natürlich ausgezeichnete Musiker aufmarschieren und Pete York mit seinem neuen Septett zu hören ist. Frei sagt dazu: Die etablierten Namen sollten "Sicherheit für Veranstalter und Publikum bringen".

Aber im nächsten Jahr werde er aufdrehen, "da geht es ganz anders los", nämlich mit den Schweizern "Hildegard lernt fliegen" und einem Georg Ringsgwandl, der ein pures Musikprogramm mit Jazz-Anleihen geben werde. Ist das die Fortsetzung des Klaviersommers mit anderen Mitteln? Könnte man so sagen. Yes.

"All That Jazz", Schlossberghalle Starnberg. Dienstag, 30. Juni, Klaus Doldingers Passport, 27. Juli: Barbara Dennerlein & Bebap, 16. Oktober: Peter York Septett, 10. Dezember: The Gospel People, Beginn jeweils 20 Uhr. Karten zu 21 und 18 Euro oder Abo für 84 und 72 Euro unter 08151/772-136 oder -170 und München Ticket.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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