Pöcking:Hoffnung und Heimweh

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Aus Aleppo geflüchtet: die 22-jährige Syrerin Roua Schaar. (Foto: Georgine Treybal)

Die 22-jährige Syrerin Roua Schaar ist vor knapp einem Jahr mit ihrem Mann aus Aleppo geflüchtet. Sie lebte eine Zeit lang in der Zeltanlage in Pöcking, nun startet sie ein neues Leben. Sie hat Abitur und will Lehrerin werden, während ihr Mann als Friseur schon arbeitet

Von Amelie Plitt, Pöcking

Andere Mädchen in ihrem Alter studieren, feiern Partys, treffen Freunde und fahren in den Urlaub. Die Syrerin Roua Schaar hingegen muss ihr Leben neu aufbauen: Fast elf Monate ist es her, dass die damals frisch verheiratete 22-Jährige mit ihrem Mann Alaeldeen Awad und dessen Familie ihre Heimat Aleppo verließ, einem Ort, der wie kein anderer zum Symbol für Terror, Krieg und Elend geworden ist. Zu dem Zeitpunkt war Schaar im zweiten Monat schwanger.

Jetzt sitzt die junge Frau in einem der Unterrichtsräume für Asylbewerber im Bildungszentrum Pöcking und erzählt von ihrer Flucht und ihrem neuen Leben in Deutschland. Schaar trägt ein weinrotes Kopftuch, eine langärmlige, gestreifte Bluse und eine dunkle Jeans. Den schwarzen Rucksack auf ihrem Rücken nimmt sie auch im Sitzen nicht ab, so als ob sie immer noch auf der Flucht ist. Auf dem Schreibtisch vor ihr schläft ihr vier Monate alter Sohn Anas in einem Kinderkorb. Bis Ende Mai besuchte sie im Bildungszentrum einen Sprachkurs. Während dieser Zeit kam ihr Sohn zur Welt, nur drei Tage nach der Geburt besuchte die ehrgeizige Syrerin wieder den Unterricht und brachte von da an Anas mit. Hoch konzentriert versucht Schaar den Fragen zu folgen, sie spricht wenig Englisch und kaum Deutsch. Seit sie ihr Baby habe, schaffe sie es nur selten, für die neue Sprache zu lernen, so die Syrerin. Bei Verständigungsproblemen helfen die Lehrerin des Bildungszentrums, Nina Moesch, und die Asylbeauftragte von Pöcking, Dimitra Trottmann. Ihnen hat sie schon von der kräftezehrenden Flucht erzählt.

An die Zeit erinnert sie sich aber nur ungern. Ende September vergangenen Jahres brach sie mit der Familie ihres Mannes auf, 14 Tage brauchten sie bis nach Deutschland: Es ging über die Türkei, nach Lesbos, weiter nach Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich und schließlich erreichten sie völlig erschöpft Deutschland. Eine Turnhalle in Baldham war Schaars erste Bleibe. Mit dem Schiff, Bussen, Zügen und langen Fußmärschen bestritten sie die Strecke. Als besonders schlimm hat die 22-Jährige in Erinnerung, wie sie in Serbien mit all den anderen Flüchtlingen auf der Straße schlafen musste. Nach ihrer Ankunft in Baldham wurde die Familie nach Pöcking gebracht, wo sie zunächst in einer Zeltunterkunft lebte. Seit einigen Wochen hat Schaar endlich wieder Privatsphäre, sie zog mit Mann und Kind in eine kleine Wohnung um, die von der Gemeinde zur Verfügung gestellt wird. Aktuell fühle sie sich aber einsam, gerne würde sie neue Freunde finden, sagt die junge Frau. Wenn die 22-Jährige an ihr Heimatland Syrien denkt, vermisse sie, wie sie meint, eigentlich alles: Den strahlenden Sonnenschein, das Essen, die Landschaft und vor allem Familie und Bekannte. Der Gedanke, dass sie Eltern und Freunde in der unsicheren Heimat zurückgelassen hat, bereitet der jungen Mutter Kummer und Sorge. Bei dem Thema beginnt die sonst kontrolliert wirkende Syrerin unruhig an ihrer Kopfbedeckung zu zupfen. Für die 22-Jährige sind die Sozialen Medien unentbehrlich, weil sie damit den Kontakt mit den Zurückgelassenen aufrechterhalten kann.

Während die Eltern, die in der syrischen Küstenstadt Latakia, Hochburg des Assad-Regimes, wohnen, die Heimat nicht verlassen möchten, wollen viele ihrer gleichaltrigen Bekannten aus Aleppo nach Deutschland kommen. Zurzeit sei es aber unmöglich zu fliehen, erklärt Schaar. Schwester und Bruder haben es noch geschafft, sie verließen kurze Zeit nach ihr die Heimat und leben jetzt in Stuttgart beziehungsweise Ebersberg.

Den Beschluss zur Flucht trafen Schaars Schwiegereltern. Der Bruder von ihrer Schwiegermutter starb im Krieg, was die Entscheidung maßgeblich beeinflusste. Ihr eigener Antrieb sei die Hoffnung auf ein sicheres Leben, insbesondere für das Baby gewesen, so die junge Syrerin. Als der Bub aufwacht schaukelt sie behutsam den Kinderkorb. Schaars Wunsch ist nun, die deutsche Sprache richtig zu lernen, um dann studieren zu können. Am liebsten wolle sie Lehrerin werden, erläutert sie. In ihrer Heimat besuchte die Asylbewerberin zwölf Jahre die Schule, schloss mit dem Abitur ab und wollte an die Universität. Terror und Krieg zerstörten ihre Zukunftsträume. Ab September beginnt Schaar einen Integrationskurs, der über anderthalb Jahre gehen soll. Für die Syrerin ein erster Schritt Richtung Selbstverwirklichung. Bis dahin genießt die junge Frau ihren ersten Sommer in Pöcking, auch wenn sie sich mit den klimatischen Bedingungen in Deutschland noch nicht ganz angefreundet hat, scheint es, dass Schaar angekommen ist: Sie schätzt besonders Freundlichkeit, Respekt, Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen hier und radelt gerne mit dem Fahrrad durch den Ort. Ihr Mann Alaeldeen ist Friseur, eine alte Familientradition, die Awads betrieben zwei Salons in Aleppo. Vor knapp drei Monaten konnte Alaeldeen seinen Beruf bei einem Friseur am Münchner Marienplatz wieder aufnehmen. Wenn er aus der Arbeit kommt, macht Schaar gerne mit dem Baby Spaziergänge am See. Wehmütig wird die junge Frau, wenn sie an die Sommer in Syrien denkt: Vor dem Krieg badete sie im Meer und genoss mit Freunden die heißen Sommertage. Über ihr Schicksal jammern, kommt für die Syrerin jedoch nicht in Frage. Sie will nach vorne schauen und ist trotz Heimweh überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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