Mühltal:Vom Ingenieur zum Flüchtling

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Als der Bürgerkrieg in Syrien ausbricht, prüft Sami Ibrahim Generatoren für Assads Armee. Die Kriegsgräuel machen ihn zum Deserteur. Jetzt lebt der junge Mann als Asylbewerber im Forsthaus Mühltal

Hannah Illing

Sami Ibrahim aus Syrien wohnt in der Asylbewerberunterkunft im Mühltal. (Foto: Dominik Schönleben)

Als Sami Ibrahim sein Land verlässt, blüht in Syrien der Jasmin. Es ist Frühling und im Land tobt seit mehr als zwei Jahren der Bürgerkrieg, ausgelöst von der Jasminrevolution, die im März 2011 auch auf Syrien überschwappte. Sami Ibrahim ist untergetaucht, weil er aus der Armee desertiert ist. Darauf steht in Syrien die Todesstrafe. Im Internet veröffentlicht der junge Mann von seinem Versteck aus Artikel, die Regime und Rebellen kritisieren. Wird er entdeckt, bringen Assads Schergen ihn um. Nach sechs Monaten im Versteck erfährt der Syrer, dass die Armee über seinen Aufenthaltsort Bescheid weiß. Er muss fliehen. Ibrahim hat gerade noch Zeit, einen Rucksack mit den wichtigsten Kleidungsstücken zu packen. Dabei ist auch eine externe Festplatte, mit allem was ihm etwas bedeutet, was er in einem neuen Land brauchen wird: Seine veröffentlichten Artikel, Fotos von seiner Familie, sein Musikarchiv.

Zwei Monate ist Ibrahim auf der Flucht, bis er Anfang August an einem deutschen Flughafen landet. Jetzt lebt der 29-Jährige als Asylbewerber im Forsthaus Mühltal, einem ehemaligen Gasthof. In 20 Zimmern wohnen dort 51 Flüchtlinge; sechs davon sind Syrer. Ein Schild an der Hauswand weist darauf hin, dass der Gasthof bis vor ein paar Jahren noch ein Drei-Sterne-Hotel gewesen ist. Die ehemalige Gaststube ist jetzt der Aufenthaltsraum der Flüchtlinge. Auf einem Tisch neben der Eingangstür wartet die Post. Im Treppenhaus liegt neben einer alten Bananenschale und einem angebissenen Keks ein englisches Kinderbuch mit Geschichten von Milne und Lindgren. Eine Seite ist zerrissen.

Es ist Samstagabend, und durch das offene Fenster in Ibrahims Zimmer dringen die Bässe aus einer Disco im Haus nebenan. Jugendliche haben sich dort zum Feiern versammelt. "Das ist fast jedes Wochenende so", sagt Ibrahim, "oft feiern sie bis vier Uhr morgens." Der Syrer lebt in Zimmer Nummer 10, erster Stock rechts, das er sich mit zwei anderen syrischen Flüchtlingen teilt. Knapp 15 Quadratmeter misst das Zimmer, es ist vollgestopft mit Holzschränken in verschiedenen Formen und Brauntönen. Die dicken Vorhänge an den Fenstern sind mit roten Rosen bedruckt. Relikt aus einer anderen Zeit, als das Forsthaus noch Hotel und Restaurant war.

Zu dieser Zeit lebte Ibrahim sein erstes Leben, dreieinhalb Stunden Flugzeit von München entfernt in Aleppo. Damals hatte er noch alles, was es für ein glückliches Leben braucht: Sein Maschinenbaustudium hatte er erfolgreich abgeschlossen, Ibrahim arbeitete als Leiter der Personalabteilung für eine Firma, die PVC herstellte. In Aleppo hatte er ein ganzes Haus für sich und fuhr mit dem Auto zur Arbeit. Dann erhielt Ibrahim den Befehl, in Assads Armee einzutreten. "Wenn man ein Studium abgeschlossen hat, ist das Pflicht", sagt er. Zwei Jahre lang sollte der Syrer als Leutnant in der Ingenieursabteilung der Armee dienen. Seine Aufgabe war es, den Diesel-Generator für die Flugzeuge zu prüfen. Er war in Homs und Hama stationiert. Beides sind Provinzen im Westen von Syrien. Provinzen, die es zu traurigem Ruhm gebracht haben: Beide sind durch Schreckensnachrichten von Massakern in der westlichen Welt bekannt geworden. In einem Dorf in Hama sollen Soldaten der syrischen Armee im Juli 2012 mehr als 200 Zivilisten getötet haben. Auch Hama, die Hauptstadt der Provinz, wurde im Juli von syrischen Panzern angegriffen. Ibrahim hat die Bombardierung der Stadt miterlebt. Er hat die verbrannten Leichen gerochen, die Toten gesehen. Es sind diese Bilder, die Ibrahim zum Deserteur machen.

Kurz nach dem Angriff verschwindet er aus der Armee. Aufatmen kann Ibrahim aber erst, als er in Deutschland angekommen ist. "Meine Mutter", erzählt er, "hat vor Glück geweint, dass ich noch lebe." Manchmal kann seine Familie ihn anrufen. Immer dann, wenn es in Syrien gerade wieder ein Funknetz zum Telefonieren gibt. Die Lage im Land sei nach wie vor schlecht. Es gebe kaum Essen, Medizin, Strom, erzählt Ibrahim.

Vom Forsthaus Mühltal aus schreibt der Syrer wieder Artikel für arabische Internetseiten. Er sagt, er schreibe über Hoffnung. Eine der Websites trägt den Namen "Ahewar", in der arabischen Welt hat sie viele Klicks. Die Artikel, die Ibrahim darauf veröffentlicht hat, wurden bisher von mehr als einer viertel Million Leser gelesen. "In meinem Land bin ich ein bekannter Mann", sagt Ibrahim. Jetzt will er auch in Deutschland anerkannt und respektiert werden. Bis dahin wartet er auf Post von der Regierung, ob sein Asylantrag angenommen wurde. Als Syrer hat er gute Chancen. 94,3 Prozent seiner Landsleute, die von Anfang Januar bis Ende November 2013 einen Asylantrag stellten, erhielten einen sogenannten Schutzstatus. Damit haben sie einige Jahre Bleiberecht und können in Deutschland Arbeit suchen. Auch Ibrahim will bald anfangen zu arbeiten. Mit ein Grund, weshalb er Deutsch lernt; drei Mal pro Woche besucht er einen Kurs in der Volkshochschule in Starnberg.

Zum Abschied begleitet Ibrahim durch den dunklen Gang, in dem Notausgangsschilder die einzige Lichtquelle sind, hinunter zur Haustür. Wird er jemals wieder nach Syrien zurückkehren können? Seine Augen verdunkeln sich. "Syrien ist jetzt in einem dunklen Tunnel, wir brauchen Zeit. Wenn das Regime nicht fällt, werden wir für immer in diesem Teufelskreis aus Blut bleiben." Vielleicht wird Ibrahim nie wieder die Jasminblüte in seinem Land erleben.

© SZ vom 02.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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