Lesung:Mann der Enthüllungen

Lesezeit: 3 min

Abendfüllendes Programm: Stefan Schmorrte präsentiert seinen knapp 600 Seiten dicken Wälzer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der frühere "Playboy"-Chefredakteur Stefan Schmorrte stellt in Tutzing seinen ersten Roman vor, in dem er sich einem scharfsinnigen Menschen des 17. Jahrhunderts widmet.

Von Katja Sebald, Tutzing

Als eine Art Enthüllungsjournalist konnte er seinerzeit ein überwiegend männliches Publikum nicht zufrieden stellen, jetzt trifft er mit dem Buch "Die Enthüllung der Welt" auf die überwiegend weibliche Leserschaft opulenter Romane: Der ehemalige TV-Moderator und Journalist Stefan Schmorrte sorgte 2002 für etwas Aufregung in der Branche, als er von Focus Money auf den Chefredakteursposten beim Playboy wechselte. Einige Jahre später machte er noch einmal Schlagzeilen, als er dort wegen stetig sinkender Verkaufszahlen wieder abgelöst wurde. "Heute berät er große Unternehmen publizistisch und widmet sich dem Schreiben", so der Klappentext für sein Romandebüt. Am Mittwochabend stellte Schmortte vor einem guten Dutzend Zuhörerinnen und einigen wenigen Zuhörern in der "Buchhandlung Eselsohr" in Tutzing sein 2017 erschienenes Buch vor.

Schmortte, Jahrgang 1961 und seit einiger Zeit am Starnberger See ansässig, hat zu diesem Heimspiel in Tutzing einen Verstärker mitgebracht, dazu sanftes Jazzgedudel für den Einstieg. Als er dann aber zu lesen anfängt, ist der Verstärker aus. Allerdings spricht er so leise und zeitweise so schnell, dass man große Mühe hat, ihn zu verstehen. Aber er ist gut vorbereitet, schon auf die erste Frage der Buchhändlerin zu seinem Werdegang antwortet er mit einem ausformulierten Text, den er von seinem Manuskript abliest: Er müsse den Abend mit einer Enttäuschung beginnen, sagt er, trotz seiner Vergangenheit beim Playboy gehe es in seinem Roman um Enthüllungen ganz anderer Art. Und ja, er müsse eben mit dem Klischee leben, das sich aus dieser Vergangenheit ergebe. Womöglich hatte er ja dieses Wortspiel schon bei der Wahl des Romantitels im Kopf, wer weiß.

Dann aber ist es sehr schnell egal, ob er leise liest, denn es wird so spannend und so mucksmäuschenstill, dass man ihm auch dann noch jedes Wort von den Lippen abgelesen hätte, wenn er geflüstert hätte. Und es ist dann auch irgendwann egal, dass er gerade noch mit seiner Vergangenheit kokettiert hat. Denn er war wirklich sehr fleißig in den zweieinhalb Jahren, die er im Lesesaal und in der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek verbracht hat. "Ich habe mich dort noch einmal wie ein Student gefühlt", erklärt er später mit einem Lächeln. Ein anderer hätte vielleicht eine Doktorarbeit geschrieben, nachdem er sich so tief in die Materie eingearbeitet hat. Schmorrte hat einen Roman daraus gemacht: Nicht wirklich einen historischen Roman, aber auch keine reine Fiktion.

Ausgangspunkt für seine Überlegungen zur "Enthüllung der Welt" waren Bilder von Hochleistungsmikroskopen, die er beim Blättern in einem Magazin entdeckte und die ihn zu der Frage führten, wer denn als erster Mensch durch ein Mikroskop geblickt und das Große im Kleinen entdeckt habe. So stieß er auf den historisch belegten Forscher Antoni van Leeuwenhoek, der im 17. Jahrhundert im niederländischen Delft lebte und als einer der ersten Erbauer und Nutzer von Lichtmikroskopen gilt. Er diente Schmortte als Inspiration für seine Romanfigur Piet van Leeuwen, einerseits "der scharfsichtigste Mann des 17. Jahrhunderts", der mit Hilfe seiner selbst gebauten Apparaturen ein neues Universum entdeckt, andererseits kleinwüchsig, rothaarig und mit einer krummen Nase sowie einem missgebildeten Fuß ausgestattet, so unansehnlich, dass er von seiner Mutter verstoßen wurde und Zeit seines Lebens gesellschaftlich geächtet blieb.

Schmorrte liest an diesem Abend einige Passagen aus dem Buch und stellt dazwischen anhand des vorbereiteten Skripts die Hauptfiguren, Schauplätze und Handlungsstränge des Romans vor. In keinem Moment verfällt er dabei in den bei Lesungen üblichen Plauderton, sondern hält sich vielmehr an eine stringente Dramaturgie mit einer klug gewählten Pause, in der man das Buch kaufen kann - wovon angesichts der bis dahin aufgebauten Spannung auch die meisten Besucher Gebrauch machen.

Mit den bei Lesungen normalerweise im Lauf einer guten Stunde verabreichten inhaltlichen Appetithäppchen hat das Ganze wenig zu tun, es ist ein abendfüllendes Programm. Dafür tut sich aber den gebannt lauschenden Zuhörern auf dieser literarischen Zeitreise ein ganzer Kosmos an Abenteuerlichkeiten auf: Es geht um Wissenschaftsgeschichte, Inquisition und Philosophie, um Kolonialismus und Entdeckerreisen, um Machtmissbrauch in der Kirche und Gesellschaftsordnungen in der frühen Neuzeit - und nicht zuletzt hält eine Liebesgeschichte alles zusammen.

© SZ vom 23.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: