Lesung in Seeshaupt:Liebe, Krieg und Frieden im Hause Tolstoi

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Das Schauspieler-Paar Katalin Zsigmondy und August Zirner liest aus Briefen und Tagebüchern des Schriftstellers Leo Tolstoi - und beschreibt dessen Suche nach Liebe und Glück.

Benjamin Engel

"Das Stärkste, das Beste und das Quälendste ist die Liebe." Diese Worte der Ehefrau des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi sagen eigentlich alles über dieses wohl stärkste Gefühl des Menschen im Spannungsfeld zwischen himmelhochjauchzender Verliebtheit und reiner Qual. Aber was ist die Liebe eigentlich? In ihrem Stück "Ist das die Liebe?" trug die Dramaturgin Andrea Clemen Briefe und Tagebücher des Ehepaares Tolstoi zusammen. Daraus entwickelte sie ein teils heiteres und manchmal verstörendes Panorama eines langen Ehelebens und der ewigen Suche nach Liebe und Glück.

August Zirner überzeugt als Tolstoi, der seine Frau weniger und weniger verstehen will; am Ende spricht er von einer "Ehehölle". (Foto: oh)

Die szenische Lesung ihres Stückes in der Seeresidenz Alte Post gab intime Einblicke in das Leben von Lev Nikolajewitsch Tolstoi und seiner Frau Sofja. 48 Jahre lang waren sie verheiratet und hatten 13 Kinder. Am Ende empfand er das Zusammenleben mit seiner Frau nur noch als "eine einzige Qual". Der Gedanke an Flucht aus dieser "Ehehölle" ließ ihn nicht mehr los. In der Nacht des 28. Oktober 1910 verließ er schließlich still und heimlich sein Landgut Jasnaja Poljana und sollte nie wieder dorthin zurückkehren. Kurze Zeit später starb er an den Folgen einer Lungenentzündung im Bahnwärterhäuschen von Astapowo, ohne seine Frau noch einmal gesehen zu haben. Damit ging zu Ende, was vor 48 Jahren so hoffnungsvoll begonnen hatte.

Das Schauspieler-Ehepaar August Zirner und Katalin Zsigmondy schlüpfte am vergangenen Freitag in die Rollen von Leo Tolstoi und seiner Frau Sofja. Ganz in schwarz, sie in schwarzem Kleid, er im dunklen Anzug, betraten sie, das dramatische Ende dieser Beziehung gleichsam vorwegnehmend, die Bühne. Mit jugendlicher Schwärmerei und schmachtenden Blicken umgarnte die erst 18jährige Sofja Andrejewna Behrs den 34jährigen Leo Tolstoi.

Zweifel plagen den jungen Schriftsteller wegen des großen Altersunterschieds, er liegt nächtelang wach, kann nicht mehr arbeiten, schreibt Liebesbriefe und schickt diese nicht ab. Doch dann geht alles ganz schnell. "Sofja ist wundervoll. Noch nie habe ich mir die Zukunft mit einer Ehefrau so glücklich vorgestellt", notiert er in sein Tagebuch. Die Liebe zeigt sich hier in ihrer ganzen Ambivalenz. Noch herrscht jedoch vollkommene Glücksseligkeit.

"Ich erfülle ihn nicht so wie umgekehrt"

Bald aber wird sich dies ändern. Tolstoi beklagt die Unruhe im Haus seit der Geburt der ersten Kinder und will sich vom Familienleben "nicht auffressen lassen". Leichte Bitterkeit erfüllt auch Sofja: "Ich erfülle ihn nicht so wie umgekehrt." Noch aber arbeitet Tolstoi intensiv an seinen Romanen. Er vollendet "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina". Sie unterstützt ihn dabei, schreibt Manuskripte ab und redigiert. Die Liebe ist nicht mehr die leidenschaftliche Kraft, speist sich aus der Bewunderung für ihren Mann.

In der zweiten Lebenshälfte verbringt Tolstoi immer mehr Zeit auf seinem Landgut, mäht mit den Bauern das Gras, näht Stiefel und hackt Holz. Aus Scham über das Elend der Bauern und Leibeigenen will er alles, was er besitzt, weggeben, um sich weniger schuldig zu fühlen. Seinen Forderungen nach einem Leben in Armut, Enthaltsamkeit und Demut kann Sofja, die das Landleben als zunehmend eintönig empfindet, nicht viel abgewinnen. So kommt es zur schleichenden Entfremdung zwischen den Eheleuten. Als auch noch ihr Kind Wanja stirbt, flüchtet sich Sofja endgültig in Bälle und Konzerte, während Leo Tolstoi diesem gesellschaftlichen Leben wenig abgewinnen kann. Es bleiben Vorwürfe, Unverständnis und Teilnahmslosigkeit. Die Liebe schlägt schließlich in Bitterkeit um: "Das Genie sagt nicht danke, dass ich ihm meine Jugend geopfert habe."

Katalin Zsigmondy zeigt Sofja in all ihren Facetten zwischen jugendlicher Verliebtheit und Schwärmerei, Stolz und Bewunderung, Hass und bitterliche Vorwürfen. August Zirner überzeugt als Leo Tolstoi, der seine Frau weniger und weniger verstehen will und schließlich sogar vor ihr flieht. Die Lebensgeschichte der Tolstois wird so zur zeitlosen Parabel der ewigen und oft vergeblichen Suche der Menschen nach Liebe, Anerkennung und Verständnis.

© SZ vom 02.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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