Kultur im Landkreis:Idealisten in der Hauptrolle

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Jenseits von Zeitgeist und Rentabilität machen Kulturveranstalter immer wieder das Unmögliche möglich. Zu den kleinen Wundern 2016 zählen das neue Kino in Gauting, diverse Festivals und Ausstellungsreihen

Von Gerhard Summer, Starnberg

Was für ein Kino! Mitte Oktober eröffnet Matthias Helwig sein neues Lichtspielhaus am Bahnhof Gauting. Es bietet fünf Säle auf drei Ebenen, 388 Plätze und moderne Technik, dazu ein angeschlossenes Restaurant. Und schon weil man der Inneneinrichtung und den Bildern an den Wänden ansieht, dass da ein Filmbesessener am Werk war, ist dieses puristische und trotzdem gemütliche Arthouse-Center so etwas wie der Gegenentwurf zu den kühlen, auf Durchlauf ausgelegten Cineplex-Bauten.

Drei Millionen Euro kostet das Kino. Zweieinhalb Jahre zieht sich die schwierige Bauzeit hin. Zwischendrin muss Helwig ein Wohnhaus verkaufen, an dem Bankkredit wird er ohnehin hinbezahlen, bis er alt und grau ist. Aber der 56-Jährige hat offenbar kein Problem damit, Risiken einzugehen. Die Genehmigung beispielsweise trudelt erst 30 Minuten vor der Eröffnung am Abend mit 400 geladenen Gästen ein.

Genau genommen dürfte es dieses Lichtspielhaus gar nicht geben, wenn es nach den Regeln der Ökonomie, der Wahrscheinlichkeit und den üblichen Erfolgsrezepten ginge. Heißt es nicht immer wieder, dass Kinos ein Auslaufmodell sind in Zeiten, da sich vor allem junge Leute neue Filme schlicht daheim am Computer hochladen, möglichst umsonst? Dass in 20 Jahren vielleicht alles vorbei sein könnte? Andernorts krebsen Kinobesitzer tatsächlich schon vor sich hin oder machen den Laden dicht, weil die Leute ausbleiben. Warum soll dann ausgerechnet in Gauting das Kinowunder passieren?

Im Endeffekt gilt das natürlich für alles, was Spaß macht im Fünfseenland: Es ist schlicht unvernünftig, eine Bühne zu betreiben, eine Galerie am Laufen zu halten und ein Festival auf die Beine zu stellen. Einmal im Jahr ein Lustspiel einzustudieren und aufzuführen, lohnt sich auch nur für die, die keinen Lohn erwarten. Denn das alles bedeutet verdammt viel Arbeit, macht in den seltensten Fällen berühmt und bringt in der Regel wenig Geld, wenn überhaupt. Unternehmensberater würden von solchen Unternehmungen abraten, ob es um "Jazz am See" geht oder den Dorfstadel in Traubing. Um Ausstellungsreihen wie "Nah-fern", ein Kulturhaus wie das Gautinger Bosco oder "Monis Brettl". Um die Raritätensammlung "Literarischer Herbst", das Inninger Spectacel, die Ammerseerenade, das Brahms-Festival Tutzing, den "Temporären Kunstsalon", das "Theater an der Würm", die "Starnberger Musiktage" oder die Reihe "All that Jazz Starnberg". Sogar das Filmfestival des Kinobetreibers Helwig, eine der größten Erfolgsgeschichten also, die dieser Landkreis zu bieten hat, ist nach wie vor ein Zuschussgeschäft, kompensiert mit den Einnahmen aus Helwigs Breitwand in Starnberg.

Aber die unvernünftigsten Projekte sind natürlich die schönsten, weil sie sich um Zeitgeist und Rentabilität den Teufel scheren und beweisen, dass eben doch möglich ist, was als unmöglich gilt.

"Oper in Starnberg" ist dafür ein Paradebeispiel. Wer weiß, wie aufwendig und teuer Musiktheater ist, müsste eigentlich sofort die Finger davon lassen. Und trotzdem funktioniert das Ganze, auch wenn Intendant Andreas Sczygiol und Regisseurin Ada Ramzews nun auf Aufführungen im zweijährigen Turnus umschalten und 2017 eine Pause einlegen. Im Juni geben sie Christoph Willbald Glucks "Orphée et Eurydice" in einer ballettlastigen Fassung in der Schlossberghalle und zeigen, dass auch mit kleinen Mitteln Großes entstehen kann. Die "Ammerseerenade" und "All that Jazz" drehen 2016 sogar gehörig auf. Das dritte Klassikfestival, das heuer auch Carl Orff Reverenz erweist, zieht mit 43 Veranstaltungen deutlich mehr Besucher an als im Vorjahr, am Ende sind es etwa 4000. Und Manfred Frei und Irina Frühwirth landen in ihrer Jazzreihe ein paar Coups. Vor allem das Konzert der Schweizer Band "Hildegard lernt fliegen" im Februar lehrt: Mut zu Experimenten, wenn sie denn gut gemacht sind, zahlt sich aus, denn das Publikum ist nicht so konservativ oder leicht zu erschrecken, wie viele glauben.

Auch Daniel J. Schreiber, der Direktor des Buchheim-Museums in Bernried, gehört zu den sanften Reformern im Lande, die Erfolg haben. Behutsam und geschickt erweitert er das vorher enge Konzept des Hauses, das einzig auf Buchheims Schätze abonniert war. Aus einer an Glanz verlierenden One-Man-Show wird wieder eine offene Bühne mit Leuchtkraft.

Für das Bosco Gauting, das ein fast schon irrational feines Klassik-, Theater- und U-Musik-Programm macht, ist 2016 ein schwieriges Jahr. Denn das hochrangigste Kulturzentrum des Landkreises gilt im eigenen Ort offenbar wenig: Erst will der Gemeinderat in Sparlaune die Saalmiete und die Kartenpreise deutlich erhöhen, obwohl beides wenig bis nichts bringt. Dann ziehen sich die Verhandlungen wegen der Vertragsverlängerung mit dem Verein lange hin. Inzwischen sieht es so aus, als käme das Team Gott sei dank glimpflich davon.

Orff in Andechs bleibt dagegen ein schwieriges Kapitel. Noch ist völlig ungewiss, ob es wenigstens 2018 eine Neuauflage der Festspiele geben wird. Der Füssener Kulturveranstalter Florian Zwipf-Zaharia hatte das vom Kloster Andechs eingestellten Festival ursprünglich 2017 wiederbeleben wollen. Doch er scheiterte, weil er für seine Firma in diesem September Insolvenz anmelden musste.

Mit Abenteuern, die lukrativ sein müssen, ist das eben so eine Sache. Am besten funktioniert Kultur, wenn sie sozusagen nicht funktionieren muss: also Veranstalter ihrer Vision folgen und keine Kompromisse machen. Das gilt für das Kino in Gauting genauso wie für ein kleines Festival wie "Juni-Spiele schön jung" oder das große Fünfseen-Filmfestival, dem auch 2016 das Kunststück gelingt, mit seinem anspruchsvollen Programm beim Publikum zu landen. 20 000 Besucher kommen, 1000 mehr als im Vorjahr. Als Landrat Karl Roth im November dem Erfinder und Leiter des Festivals den Kulturpreis des Landkreises verleiht, sagt er: Matthias Helwig habe es geschafft, "dass einem Cannes, Venedig und Starnberg in einem Schwung über die Lippen gehen". Gut, das mag übertrieben sein. Aber nur ganz wenig.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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