Kritik:Brutale Umerziehung

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Der aufwühlende Film "Sami Blood" von Amanda Kernell

Von blanche mamer, Gauting

Vor 15 Jahren rüttelte ein Film über die Flucht von drei Aborigines-Mädchen aus einem englischen Umerziehungslager die Filmfans in Australien auf. In "Long Walk Home" hatte Regisseur Phillip Noyce auf ein dunkles Kapitel australischer Rassenpolitik aufmerksam gemacht. 1931 waren die Protagonistinnen, Töchter von Aborigines-Müttern und weißen Wanderarbeitern, gewaltsam von ihrem Stamm getrennt und in einem 2000 Meilen entfernten Erziehungslager untergebracht worden. Dass es auch in Europa Länder gab, die ihre indigenen Einwohner und Angehörige von Nomadenvölkern verfolgten, indem sie ihnen die Kinder wegnahmen und der eigenen Kultur entfremdeten, wird gern verdrängt. So ist die Zwangsadoption von Romakindern in der Schweiz immer noch nicht aufgearbeitet, ebenso die Diskriminierung der Lappländer in Skandinavien.

In ihrem ersten langen Spielfilm "Sami Blood" zeigt Regisseurin Amanda Kernell die brutale Ungerechtigkeit, mit der die Schweden in den 1930er Jahren gegen das Volk der Sami vorgingen - die Ureinwohner im nördlichen Skandinavien. Verstörend ist der Beginn des Films: Eine alte Dame ist mit Sohn und Enkeltochter unterwegs zur Beerdigung ihrer Schwester. Sie will da gar nicht hin, sie schämt sich für ihre Familie, hatte den Kontakt vollständig abgebrochen. Die Samen seien selber schuld, wenn sie keiner mag. Sie stinken, lügen und stehlen, sagt sie. Sie will immer noch nichts wissen von den Verwandten, die in ihrer aufwendigen traditionellen Tracht in der Kirche sitzen. Doch sie kann nicht umhin, sich zu erinnern.

Die 14-jährige Elle-Marja lebt mit ihrer Mutter, den Großeltern und der jüngeren Schwester von der Rentierzucht. Der Vater ist tot, das Leben in der kargen Natur schwer, was der Obrigkeit als Argument gilt, um die Mädchen in ein "Kultivierungsprogramm" zu stecken und sie in einer weit entfernten Internatsschule unterzubringen. Ist Elle-Marja zunächst noch eine sehr eifrige und gute Schülerin, so merkt sie doch mehr und mehr, wie das Verbot der eigenen Sprache und des Joiks (des einzigartigen Gesangsstils, der an eine Mischung aus Jodeln und indianischen Gesängen erinnert), zusammen mit der Unterdrückung und Diskriminierung der Lappen zum Zwang wird. Sie beginnt gegen die Verbote, Züchtigungen und unwürdigen rassebiologischen Untersuchungen zu rebellieren und flieht. Sie lernt einen hübschen schwedischen Jungen kennen und will leben wie er. Doch auch in der großbürgerlichen Familie stößt sie auf Rassismus und Diskriminierung. Sie erfindet sich eine neue Identität, es gelingt ihr, in ein schwedisches Internat aufgenommen zu werden. Erst am Ende ihres Lebens begreift sie, was ihr angetan wurde und wie sie ihre Kultur verleugnet hat.

Der Zuschauer schwankt zwischen Empörung und Mitleid über die Frau und ihre Geschichte.

© SZ vom 04.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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