Das beschauliche Waldsanatorium:Nur der kleine Engel wendet sich ab

Lesezeit: 5 min

Das Waldsanatorium in Krailling ist ein Alten- und Pflegeheim. Und es ist ein beschaulicher Ort, der wirkt, als wäre die Zeit stehen geblieben

Von Christiane Bracht, Krailling

Wer Ruhe sucht, kann sie im Garten des Kraillinger Waldsanatoriums sicher finden. Etwas abgeschieden vom üblichen Trubel und Verkehrslärm, umringt von hochgewachsenen alten Bäumen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Schon wenn man das Tor zum Alten- und Pflegeheim der Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul passiert, empfängt den Besucher eine andere Welt. Groß und mächtig breitet sich vor einem der hochherrschaftliche Bau vom Ende des 19. Jahrhunderts aus. Er wirkt Respekt einflößend, aber auf wundersame Weise strahlt er auch etwas Besonnenes, Ruhiges aus. "Möge Friede auf Erden sein" steht in mehreren Sprachen auf einer schmalen Stele vor der Auffahrtsrampe zum Haupteingang. Und es ist, als ob dieser fromme Wunsch einen beseelt, wenn man um das Haus herum läuft zum Garten des Waldsanatoriums. Dessen Herzstück ist ein sanft plätschernder Brunnen, an dessen Spitze ein kleiner Engel sich schützend vom Wasserstrahl abwendet. Er steht mitten auf einem kleinen Platz direkt vor dem Hauptgebäude und ist von vier jungen Ahornbäumen umringt. Kieswege führen von hier durch einen symmetrisch angelegten Heilkräutergarten, indem Lavendel, Frauenmantel, aber auch verschiedene Gräser wuchern. Die rechteckigen Beete sind mit niedrigen Buchshecken getrennt. Das gibt dem Garten eine strenge Ordnung.

Eine alte Nonne in weißem Gewand geht tief gebückt mit ihrem Rollator den Kiesweg zwischen den Beeten entlang. Sie hat ein wenig Mühe vorwärts zu kommen. Aber die Bänke unter den riesigen Laubbäumen am Rande des Heilkräutergartens sind einfach verlockend. Wer besser zu Fuß ist, kann sich auch im Englischen Garten dahinter niederlassen. Denn hinter dem letzten Beet endet der Kiesweg abrupt und damit auch die Symmetrie. Eine riesige Rasenfläche breitet sich vor dem Besucher aus, auf der große, alte Laubbäume stehen. Wer hier mit Blick auf Garten und Natur die Ruhe genießt, wird nur von zwitschernden Vögeln in seinen Gedanken unterbrochen. Ab und zu hört man auch ein Zirpen - sonst nichts.

"Früher war das Haus voller Schwestern", erinnert sich der technische Leiter der Anlage Christian Hoffmann. Kein Wunder, ist doch das Waldsanatorium seit 30 Jahren das Altenheim des Ordens. Allerdings mangelt es den Schwestern seit geraumer Zeit an Nachwuchs und so ist die Nonne, die durch den Garten spaziert, nur noch eine von etwa 30 älteren Schwestern, die hier wohnen und teils auch noch ehrenamtlich mitarbeiten. "Die meisten sind inzwischen aber bettlägerig", erzählt Hoffmann.

1 / 5
(Foto: Arlet Ulfers)

Die Symmetrie von Haus und Garten ist geblieben, wie sie war. Sowie...

2 / 5
(Foto: Arlet Ulfers)

...der sanft plätschernde Brunnen, an dessen Spitze ein kleiner Engel sich schützend vom Wasserstrahl abwendet.

3 / 5
(Foto: Arlet Ulfers)

Umringt von hochgewachsenen alten Bäumen scheint die Zeit im Kraillinger Waldsanatorium stehen geblieben zu sein.

4 / 5
(Foto: Arlet Ulfers)

Der ursprüngliche Bau zum Garten hin hat einen Arkadengang, in den die Patienten tagsüber geschoben wurden, damit sie die Fichtenluft einatmen konnten.

5 / 5
(Foto: Wolfgang Dausch/oh)

Früher pflegten die Schwestern im Waldsanatorium Lungenkranke, heute Senioren. Sie helfen aber auch der Gemeinde zum Beispiel beim Bau des Feuerwehrhauses.

Krankenpflege war im Waldsanatorium übrigens von Anfang an Aufgabe des Ordens. 1898, als das Haus als erste Volksheilstätte Bayerns eröffnete, ging es aber vor allem darum, Lungenkranke zu heilen oder zumindest ihr Leiden zu lindern. Initiiert hatte den Bau der Arzt Hugo von Ziemssen. Er gründete 1892 einen Verein, um das Vorhaben anzuschieben und sammelte Spenden. Die frische Luft mitten im Hochwald des Kreuzlinger Forsts sollte den Patienten gut tun. Und so hatte der ursprüngliche Bau zum Garten hin einen Arkadengang, in den die Patienten tagsüber geschoben wurden, damit sie die Fichtenluft einatmen konnten. Im Winter packten die Schwestern sie in dicke Decken, damit sie nicht frieren mussten. 114 Betten hatte das Waldsanatorium ursprünglich. Als der Platz zu knapp wurde, baute man den Arkadengang in Patientenzimmer um. Die Liegehalle musste an anderer Stelle ergänzt werden, denn das Atmen an frischer Luft war ja wichtiger Teil der Therapie. Am Ende beherbergte das Lungensanatorium sogar bis zu 300 Patienten - allerdings nur die leichteren Fälle, die schweren wurden in Gauting behandelt.

Im Ersten Weltkrieg beanspruchte das Militär einen Großteil des Gebäudes, um dort ein Lazarett einzurichten, in dem vor allem tuberkulosekranke Soldaten aufgenommen wurden. Ende des Zweiten Weltkriegs fielen Bomben auf das Sanatorium. Die Amerikaner wollten wohl das benachbarte Tanklager im Kreuzlinger Forst treffen. Der Schaden war immens, sodass man die ersten Jahre mit dem Wiederaufbau beschäftigt war. In dieser Zeit pflegten die Schwestern aber auch ihren berühmtesten Patienten: Karl Leisner. Der inzwischen selig gesprochene Priester war schon Lungenkrank als er 1940 ins KZ Dachau kam. Er hatte sich nicht nur kritisch über die Nazis geäußert, sondern auch noch ein Jungenlager organisiert - zu einer Zeit, als katholische Jugendarbeit längst verboten war. Nach der Befreiung 1945 schleppte sich Leisner mit letzter Kraft von Dachau ins Kraillinger Waldsanatorium. Die Schwestern pflegten ihn hingebungsvoll, trotzdem starb Leisner schon nach wenigen Monaten. Zeitzeugen gibt es heute nicht mehr, das Sterbezimmer des mutigen Priesters ist aber noch so eingerichtet wie 1945 und kann jederzeit besichtigt werden. Am 12. August veranstalten die Nonnen jedes Jahr eine Gedenkfeier in der Kapelle des Sanatoriums.

Tuberkulose wird heute in Deutschland nur noch selten diagnostiziert. Schon 1984 war die Krankheit so weit zurückgegangen, dass sich der Orden entschloss, das Lungensanatorium zu schließen und statt dessen ein Altenheim im Kreuzlinger Forst einzurichten. Zunächst wurden dort nur Schwestern gepflegt, 1997 öffnete man die Einrichtung auch für Einheimische. Wegen des hohen Pflegestandards und der schönen Lage ist das Waldsanatorium inzwischen sehr beliebt bei den Kraillinger. Doch das war nicht immer so: Früher wollte man nichts mit ihm zu tun haben, waren doch Leute mit ansteckenden Krankheiten dort. Und auch das Sanatorium schottete sich nach außen ab: Um das etwa 21 Hektar große Areal war ein hoher Stacheldrahtzaun gezogen, damit die Patienten nicht hinaus konnten, berichtet Hoffmann. Es war auch nicht nötig, die Einrichtung war völlig autark. Neben den Behandlungs- und Patientenzimmern im Hauptgebäude, gab es auch eine Gärtnerei, in der Obst und Gemüse gezogen wurde, einen Gutshof mit 120 Hennen und bis zu acht Schweinen, sowie Äcker und Wald. Es gab eine eigene Bäckerei, ein Wasch- und ein Schwesternhaus, aber auch eine Ärztevilla und natürlich die Kapelle. Heute versorgt sich das Waldsanatorium nicht mehr selbst. Es wäre zu teuer. Statt dessen beliefert der Tiefkühllaster die Küche.

Im Gutshof ist schon lange der gemeindliche Bauhof eingezogen, die Äcker sind Wiesen, die Gärtnerei abgerissen. Dort steht jetzt ein modernes Heizkraftwerk und vielleicht bald ein Energiewald. Und im Waschhaus und Ärztevilla spielen Kinder. Auch der hohe Stacheldrahtzaun ist seit langem Geschichte. Heute ist das Gelände offen. Wer will, kann dort spazieren gehen. Es gibt zwar noch einen Holzzaun, doch der ist an vielen Stellen so verwittert und morsch, dass er in sich zusammengefallen ist. Auch vom einst heilenden Wald ist nicht mehr viel übrig. Die Orkane der letzten Jahre haben die hohen Fichten umgeknickt und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Überall sieht man abgebrochene Baumstämme und dürre Zweige herumliegen, auch mal einen abgestürzten Jägersitz. "Die letzten Fichten hat Niklas geholt", erklärt Hoffmann.

Nach und nach erobert sich nun die Natur ihren Raum zurück. Auf den einst mit Kies aufgeschütteten Waldwegen wächst schon hohes Gras, hie und da sieht man verwitterte Bänke am Wegesrand und an manchen Stellen muss man sich ducken, weil die Zweige wild wachsender Bäume tief herunterhängen. "Es ist junger Mischwald, der sich regeneriert", erklärt Gärtner, Wolfgang Welke. Er arbeitet schon seit 40 Jahren auf dem Gelände. "Ein Glücksfall", lacht er. Der 60-Jährige kümmert sich vor allem um den Heilkräutergarten, die 3000 Rosen, die um das Waldsanatorium herum wachsen und die Blumenrabatten am Haupteingang. Unterstützt wird er zwar von einem Kollegen, doch die Arbeit ist für zwei zu viel und so wollen die Schwestern den Garten im Herbst neu überplanen. Alles soll pflegeleichter werden, erklärt Welke.

Weder Garten noch die Gebäude stehen übrigens unter Denkmalschutz. Zu oft ist beides umgebaut, erweitert, saniert oder umgenutzt worden. Doch die Idee des Architekten ist erhalten geblieben, weiß der technische Leiter der Anlage. Und so wird der neue Garten wieder genauso symmetrisch sein wie seine Vorgänger. Das einzige, was sich in all den Jahrzehnten nicht verändert hat, ist der Brunnen, sagt Hoffmann. So wird es auch diesmal sein.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: