Schloss Kempfenhausen:Magisch und mystisch

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Aus kleinen Mustern große Musik machen: das Pelaar-Quartett bei seiner Aufführung im Rittersaal des Kempfenhausener Schlosses. (Foto: Arlet Ulfers)

Das erste Echolot-Festival für Neue Musik im Schloss Kempfenhausen erweist sich als sinnenhaftes Erlebnis. Das erlesene, aber hochinteressierte Publikum staunt nicht nur über die Musik, es genießt auch Audio- und Video-Installationen

Von Reinhard Palmer, Kempfenhausen

Sticht man in die stürmische See der Neuen Musik, sind Orientierungshilfen nötig, zumal bei mächtigem Gegenwind des allgemeinen Konzertpublikums. Das nun erstmals eröffnete Festival im und ums Schloss Kempfenhausen will aber nicht unbedingt an einen anderen Ort gelangen, als vielmehr in einem Boot mit dem Publikum erforschen, was sich in den Tiefen unterm Kiel verbirgt. Und dafür sind weder Sterne noch Sextant hilfreich, als vielmehr ein Echolot - daher der Name des musikalischen Wagnisses.

Kein belehrendes Dozieren, versprachen künstlerischer Leiter des Festivals, Gunter Pretzel, Bratscher der Münchner Philharmoniker, sowie Veranstalterin Elisabeth Carr von "KunstRäume am See" vor einem erlesenen, doch hochinteressierten Publikum. Und wie dieses Ergründen aussehen soll, das wurde denn auch gleich an den ersten beiden Abenden - jeweils von Pretzel und der Komponistin Helga Pogatschar kuratiert - deutlich.

Die neuen Ufer sind längst da und entdeckt. Sie sind auch ungeheuer vielfältig, mal rein der Tradition der Ernsten Musik verpflichtet, mal mit der U-Musik (Jazz, Rock, Pop) auf Tuchfüllung, mal mit Sprache und performativen Handlungen verbunden oder auch elektronisch generiert.

Leider haben es die Musiker einst versäumt, das Publikum auf die Reise dorthin mitzunehmen. Intellektuelle Vermittlungsversuche erreichen es im Nachhinein selten. Emotionen und Neugier müssen geweckt und möglichst viele Sinne angesprochen werden, erst dann kann die Musik von heute in ihrer Ausdrucksweise und Wirkung offene Ohren finden. Dies zu ermöglichen, ist denn auch das Ziel der Festivalmacher, zu denen auch der Komponist und Dirigent des dritten Abends, Johannes X. Schachtner, gehört.

Der mitbespielte Schlosspark stimmte nicht nur mit seinem idyllischen Ambiente auf die Konzerte ein, sondern vor allem mit einem Rahmenprogramm. Voreingespieltes und collagiertes Tonmaterial im Vierkanalerlebnis bereitete fürs spätere Konzert den Wiedererkennungseffekt vor. Improvisationsmusiker und Soundtüftler am Laptop Gunnar Geisse führte ungewohnte Klänge und Verfahren ein, weckte Assoziationen, rief bildhafte Vorstellungen hervor, bevor Videokünstlerin Manuela Hartel später mit realen Projektionen die Schlossfassade überwuchern und die architektonische Ordnung auflösen ließ. Ein "Lauschgarten", die buschumwachsene Rotunde um den steinernen Tisch mit einer versteckten Soundanlage und Glimmlichtern, lud indes zum genaueren Hinhören ein. All das sollte auch im Konzert des Pelaar-Quartetts München mit Joe Rappaport und Luciana Beleaeva an den Violinen, Pretzel an der Viola sowie Graham Waterhouse am Violoncello im Rittersaal thematisiert werden. "patterns/x-size" war das Thema, bei dem es darum ging, aus kleinen, wiederholbaren Mustern, große Musik zu machen. Komplexe metrische Verschiebungen, instrumentale Vervielfältigungen oder Schichtungen von Pattern hatten den Komponisten die Möglichkeit gegeben, mit dem kargen Material reiche dramaturgische Entwicklungen anzufachen.

Wie ein Echo klangen die Themen in nachfolgenden magischen Darbietungen nach: In orientalischen Märchen von Elsa Sophia von Kamphoevener mit Klang (Pretzel und Geisse) und Projektionen (Hartel), später mit einer mystischen, geradezu verzaubernden Performance in einer Baumgruppe. Überraschend Leises brachte das avantgardistische Münchner Electronic-Trio 48Nord mit. Bildhaft, erzählerisch, mit einer überbordenden Fülle an Klängen, die sich nur selten zu einem Thema anreihten, waren geradezu eine Übertragung der Meerestiefen-Metapher in die musikalisch-philosophische Dimension, wo in der Dunkelheit der Abgründe seltsame Wesen hausen. Ein Gegensatz zum vorangehenden, klaren Kinderkonzert mit den "Bremer Stadtmusikanten" sowie pfiffig illustrierenden Musiken und Atmosphäre erzeugenden Liedern von Dorothee Eberhardt. Das gut eingespielte Duo, die Schauspielerin Belle Schupp und der Pianist Peter Francesco Marino (auch er ein Komponist), betonte die aktuelle Thematik der Fremden in der Fremde anhand des traditionellen Märchens, ohne dessen Witz und fesselnde Handlung zu vernachlässigen. Alles in allem überaus gelungen, aktuelle Musik lustvoll erlebbar zu machen und auch die Inhalte in die Gegenwart zu versetzen. Begeisterte und staunende Reaktionen.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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