Kapitän Helmut Diller:Der bayerische Entertainer

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Seit fast 30 Jahren ist der Echinger Helmut Diller nun schon Kapitän bei der Bayerischen Seenschifffahrt auf dem Ammersee. Er kennt das Gewässer ganz genau - und ist sich sicher, niemals ein anderes befahren zu wollen

Von Astrid Becker, Inning

277,5 bayerische Schuh'. So tief ist der Ammersee. Das sagt Helmut Diller. Und er muss es wissen: Seit 26 Jahren fährt er als Kapitän der Bayerischen Seenschifffahrt über genau diesen See. Als solcher gehört es zu seinen Aufgaben, dieses Gewässer ganz genau zu kennen und es den Menschen näher zu bringen. Deshalb erzählt Diller auch so gern die Sache mit dem bayerischen Schuh. Weil er damit meist recht ratlose Mienen in die Gesichter seiner Passagiere zaubert. Denn den wenigsten dürfte heute noch bewusst sein, dass es diese Maßeinheit wirklich einmal gab.

Ein bayerischer Schuh, so sagt der Kapitän denn auch, entspreche 29,18 Zentimetern. Wenn er davon spricht, zücken die Menschen auf seinem Schiff meist ihre Handys und fangen an, wie wild darauf herumzutippen. Doch Diller ist schneller als sie alle und schiebt das Ergebnis sofort nach: "Das sind 81 Meter". Die tiefste Stelle des Bauernsees, wie der Ammersee zu Unrecht früher gern genannt wurde, liegt im westlichen Teil des Gewässers, also in etwa vor Riederau. Und Diller wäre nicht Diller, hätte er nicht auch hier eine Geschichte für seine Passagiere parat: Wahlweise schlägt er vor, hier die unliebsamen Schwiegereltern zu entsorgen, oder er spricht vom "Ammersee-Ungeheuer", das hier sein Unwesen treibe und ab und zu aus den Fluten steige. Das Ungeheuer gibt es natürlich nicht, es ist ein Erfindung "von mir", sagt der Kapitän. Dazu inspiriert hätten ihn die Fischer aus Dießen, die vor einigen Jahren einen Riesenwaller von fast zwei Metern Länge aus dem See gezogen hätten. Diller redet auch gern über den 48. Breitengrad, der in etwa zwischen Herrsching und Holzhausen verlaufe und der sich bisweilen durch stärkeren Seegang bemerkbar mache. Natürlich informiert er auch über die Sehenswürdigkeiten rund um den See, sei es Andechs, sei es das Marienmünster in Dießen und die Erdfunkstelle in Raisting mit ihrem mehr als 50 Jahre alten Radom.

Er verweist auf die Bergwelt, am liebsten auf die Zugspitze, die sich aber nur dann zeige, wenn die Damen ihren Föhn nicht zu Hause vergessen hätten. Ganz wichtig ist ihm auch der Hohe Peißenberg, auf dem die älteste Bergwetterstation der Erde steht. Seit 1781 ist sie in Betrieb. Aber das Wetter ist nicht alles, was die Schifffahrt und damit auch Diller mit diesem Berg verbindet. "Er ist durchlöchert wie ein Emmentaler", erklärt der Kapitän den Passagieren. Weil hier früher Kohle abgebaut worden sei, mit der auch die Dampfschiffe auf dem Ammersee angetrieben worden seien. Bis 1970 ging das so. "Meine Kollegen haben mir in meiner Anfangszeit noch davon erzählt, aber sie waren mit der Qualität dieser Kohle nicht so recht zufrieden." Ein Zufall hat Diller damals vor etwa drei Jahrzehnten zur Schifffahrt gebracht. Denn eigentlich hatte er in Inning Schmied gelernt. Als sein Arbeitgeber die Werkstatt schloss, musste sich Diller einen neuen Job suchen. Bei der Schifffahrt suchten sie damals gerade Metallfacharbeiter. Diller bewarb sich und wurde eingestellt. Schon zu dieser Zeit bedeutete das, während der Saison zwischen Ostersonntag und Oktober die meiste Zeit auf dem Wasser zu verbringen. Als Matrose war er eingesetzt oder auch als Kassier, bis der Schifffahrt die Kapitäne ausgingen und er sich zu einem solchen ausbilden ließ.

Sein Liebling ist seither die Dießen . Weil sie wie eine ältere Dame sei, ein bisschen behäbig, aber trotzdem auf Zack, und: "Sie macht, was man ihr anschafft." Zum Beispiel nicht auf jede kleinste Welle zu reagieren und ruhig am Steg bis zur Weiterfahrt zu verharren. Die Augsburg beispielsweise sei da anders. Eher wie "ein junges Mädchen", sagt der Kapitän, zappelig und immer ein wenig auf dem Sprung. Aber Diller stört auch das nicht, er ist gewohnt mit allen vier Schiffen zu fahren, die auf dem Ammersee im Einsatz sind: eben mit der Augsburg, der Utting, auf der alle Kapitäne ihre Prüfung ablegen, weil sie am schwierigsten zu fahren ist, und den beiden Raddampfern Dießen und Herrsching . Im nächsten Jahr soll die Utting durch ein neues Schiff ersetzt werden, welchen Namen es tragen wird, steht noch nicht fest: "Ich hoffe nicht, dass sie es Andechs taufen werden."Freilich hat der Kapitän nichts gegen die Gemeinde am Heiligen Berg, wohl aber etwas dagegen, ein Schiff danach zu benennen: "Weil wir schon eine Andechs haben." Dieses Schiff ist zwar längst ausrangiert, liegt aber noch immer vor dem Uttinger Freizeitgelände an einem Steg im Wasser. Die Bayerische Seglervereinigung hatte den denkmalgeschützten Dampfer vor 60 Jahren erworben und nützt ihn heute als Vereins- und Schulungsheim.

Und genau das ist Dillers Problem. Denn zwei Schiffe mit demselben Namen auf dem Ammersee - das gehe nicht gut, sagt er. Man könnte so eine Aussage nun als Seemannsgarn verstehen, doch Diller hat schlechte Erfahrungen damit gemacht. Als vor etwa 15 Jahren die Herrsching, der jüngste Raddampfer der Flotte, angeschafft wurde, gab es die alte Herrsching noch. Die Folgen waren fatal: Kein Tag sei verstrichen ohne Probleme an dem neuen Schiff, erzählt Diller. Die meisten Kapitäne hätten sich geweigert, damit zu fahren: "Nur zwei von uns waren da etwas fatalistischer. Sie meinten, wenn wieder etwas sei, dann ankerten sie eben und ließen sich abholen." Kein anderes Schiff, so sagt Diller, habe so oft den Anker gesetzt wie dieses: "Nicht einmal die Dießen in 98 Jahren, da traue ich mir sogar zu wetten." Diller weiß, wovon er spricht. Er gehörte zu denjenigen, die selbst immer wieder an der neuen Herrsching herumschrauben mussten, Stunden über Stunden. Der Spuk war erst vorüber, als die alte Herrsching ausrangiert wurde. Seither funktioniere die neue Herrsching einwandfrei, sagt Diller.

Auch das gehört zu den Aufgaben eines Kapitäns: ein Schiff selbst reparieren zu können. Oder zum Beispiel Dampferstege neu zu bauen, was die Beschäftigten bei der Schifffahrt im Winter erledigen, wenn die Saison vorüber ist. Dann kommen Arbeitsschiffe zum Einsatz, die auch mit dem See zurecht kommen, wenn er mit einer dünnen Eisschicht überzogen ist: die Alfons Goppel zum Beispiel. Eisbrecher wie in den Nordmeeren wären am Ammersee jedoch übertrieben: Der See friert - anders als früher, als Fuhrwerke auf dem Eis Bier von einem Ufer zum anderen transportierten - nurmehr selten komplett zu.

Trotzdem gibt es während der kalten Jahreszeit viel Arbeit in der Werft, wo die Schiffe in dieser Zeit untergebracht sind. Jedes Jahr liegt dann dort ein anderes Schiff auf Trockendeck und wird quasi auch von unten generalüberholt. Alle Beschäftigten helfen dabei mit, wenn sie nicht gerade verreist sind. Denn im Sommer ist die Sache mit dem Urlaub nicht so einfach - auch wenn jedem in der Schifffahrtssaison mindestens acht Tage am Stück zustehen. Diller fährt dann meistens irgendwohin zum Radeln. Aufs Wasser will er dann nicht: "Ich brauche ja auch mal Bodenhaftung", sagt der Mann, der trotzdem für das Wasser - und vor allem für den Ammersee - eine tiefe Liebe empfindet. Nirgendwo sonst seien die Sonnenaufgänge und -untergänge schöner als hier, jeden Tag zeige der See ein anderes Gesicht, schwärmt er. Einmal habe man ihm angeboten, auf den Starnberger See zu wechseln. Diller wollte das nicht. Er blieb am Ammersee. Weil der einen ganz besonderen Charakter hat. Mal schweigsam und verschlossen, mal wild und lebendig, mal neckisch und unterhaltsam. Eben ein bayerischer Entertainer. Genau wie Diller.

© SZ vom 27.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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