Inning:Von heute auf morgen

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Beratung, Nachsorge, Intervention: In Inning startet ein Projekt, das pflegenden Familien helfen will

Von Amelie Plitt, Inning

Nach einer lebensbedrohlichen Diagnose ist im Alltag von Familien plötzlich alles anders. Fragen schießen einem dann durch den Kopf: Wird mein Kind überleben? Stirbt mein Partner? Muss ich meinen Beruf aufgeben? Wer kümmert sich um die Geschwister? Unterstützt uns der Staat finanziell? Viele Familien fühlen sich in einer solchen, meist unerwarteten Situation überfordert. Hier setzt das neue Pilotprojekt der Fachstelle "Fanki Fünfseenland" an: "Fanki" wurde von der Stiftung "Ambulantes Kinderhospiz München" (AKM), in Kooperation mit der Nachbarschaftshilfe Inning, für pflegende Familien im Landkreis Starnberg, Landsberg am Lech, Weilheim und Fürstenfeldbruck gegründet und am 1. April in Inning eröffnet. Die Bezeichnung "Fanki" setzt sich aus den drei Tätigkeitsschwerpunkten der Fachstelle zusammen: Familienberatung, Nachsorge und Krisenintervention.

Christine Bronner, Geschäftsführerin des AKM erklärt: "Unsere Initiative richtet sich an schwerkranke und schwerbehinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch an schwerkranke Eltern mit minderjährigen Kindern sowie Schwangeren mit lebensbedrohlichen Prognosen für ihr Kind." Die Ansprechpartner und ehrenamtlichen Helfer unterstützen und beraten die Familien in ihrem gewohnten Umfeld (Angehörigenarbeit). Bronner skizziert, dass es bereits bayernweit über 100, von der Bayerischen Staatsregierung geförderte, Fachstellen für pflegenden Angehörige ab dem 50. Lebensjahr gebe, ein analoges Modell einer Beratungsstelle für jüngere Betroffene habe es bis dato jedoch nicht gegeben.

"Bei den unter 50-Jährigen konnte ich immer eine Überforderung erkennen, sie wussten nicht, wohin mit ihren Sorgen. Wenn sie Glück hatten, bekamen sie einen großen Stapel Flyer in die Hand gedrückt und ein bisschen Pflegeberatung - und das war's dann." Mit dieser Situation wollte sich die Geschäftsführerin des AKM aber nicht zufrieden geben. Die Betroffenen seien psychisch komplett überfordert, sie würden am Anfang eine traumatische Krise durchlaufen, erklärt Bronner. Barbara Schachtschneider, Leiterin der Fanki-Fachstelle Fünfseenland sagt, dass zu der seelischen Belastung auch die administrative Überlastung dazu komme: "Unsere Mitarbeiter brauchen ein Jahr, um sich in die Thematik einzuarbeiten, die Angehörigen werden von heute auf morgen damit konfrontiert."

Schachtschneider skizziert einen aktuellen Fall, wo sie eine ältere Dame aus der Ammersee-Region kontaktierte und ihr mitteilte, dass ihr 27-jähriger Schwiegersohn, Vater von zwei kleinen Kindern nach einem Autounfall mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auf der Intensivstation liege und sie nicht wisse, was nun zu tun sei.

Man müsse sich das so vorstellen, dass die Denk- und Handlungsfähigkeit der Betroffenen in einem solchen Moment aussetze und sie orientierungslos nach Hilfe suchen würden, beschreibt Bronner. In dieser scheinbar ausweglosen Situation setzt das Pilotprojekt an, um die Betroffenen durch gezielte Beratung und Betreuung wieder reaktionsfähig zu machen.

Schachtschneider kann sich nicht erinnern, dass es seit Beginn des Projekts einen Tag gab, wo niemand anrief: Aktuell helfe Fanki rund 30 Familien, womit es schon jetzt auf große Resonanz stoße, freut sich Schachtschneider. "Die häufigsten Fälle sind Stoffwechselerkrankungen, neurologische Patienten und Krebspatienten", konstatiert die Geschäftsführerin des AKM.

Aktuell werden die Leistungen des Pilotprojekts ausschließlich durch Spenden finanziert. Bisher seien schon Unkosten von etwa 80 000 Euro entstanden, sagt Schachtschneider. Dankbar wären sie und Bronner über mehr Großspender. Um den Familien aber langfristig umfassend helfen zu können, sei das angestrebte Ziel eine staatliche Förderung der Fachstelle, analog der staatlich geförderten Projekte für pflegende Angehörige ab 50 Jahren, illustriert Bronner.

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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