Inninger Autorin:"Mama, das müssen wir mal alles erzählen"

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Viele schlimme Geschichten hat Beatrice Bourcier von den Asylbewerbern in Inning gehört. Aber sie stellt auch die Seite der Gastgeber dar. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Inningerin Beatrice Bourcier hat ein Buch über ihren Sommer mit Flüchtlingen geschrieben. Die Einnahmen kommen einem syrischen Mädchen zugute, das bei einem Bombenangriff schwer verletzt wurde

Interview von Astrid Becker, Inning

Sie versteht sich als Einheimische, aber auch als Zugereiste: Beatrice Bourcier. Im Alter von wenigen Monaten ist die heute 40-Jährige nach Inning gekommen, lebte aber zehn Jahre, bis 2009, in Frankreich. Als im Sommer in der Inninger Turnhalle eine Notunterkunft eingerichtet wurde, beschloss sie, sich für die dort untergebrachten Asylbewerber zu engagieren. Über ihre Erlebnisse hat sie nun ein Buch geschrieben, mit dem sie einem kleinen kranken Mädchen aus Syrien helfen will, wie sie der SZ im Gespräch erzählt. "Mein Sommer mit den Flüchtlingen" ist im Verlag Brandes & Apsel erschienen.

SZ: Frau Bourcier, Sie arbeiten ja eigentlich in der Sportkommunikation. Was hat Sie bewogen, Ihr Buch zu schreiben?

Beatrice Bourcier: Die Asylbewerber haben mich immer wieder mal gebeten, ihre Geschichten zu erzählen. Den letzten Ausschlag gab aber schließlich meine 14-jährige Tochter, die sich auch engagierte und mit ihnen Volleyball spielte. Sie meinte, Mama, das müssen wir mal alles erzählen. Na ja, jedenfalls habe ich mich hingesetzt, und nach sechs Tagen und vielen Tassen Tee war es fertig. Das war vor etwa fünf Wochen.

Respekt, wie haben Sie das geschafft?

Es war mir klar, dass das Thema vielleicht schon bald durch sein würde. Und dass ich nicht die Einzige sein werde, die auf diese Idee kommt. Deshalb ging es darum, dieses Buch so schnell wie möglich herauszubringen. Ich habe dafür einfach sieben Literaturagenten aus der Gegend angeschrieben. Die Resonanz war durchwegs positiv. Ich habe mich dann für den "Kleinsten" davon entschieden. Das war richtig, denn er dachte wie ich: So schnell wie möglich einen Verlag dafür zu finden. Das ist ihm geglückt, worüber ich wirklich froh bin. Denn in der Zwischenzeit hatte ich es den Flüchtlingen ja auch versprochen, ihre Geschichten zu erzählen. Das Ganze war ein Herzensanliegen.

Wie kam es zu dieser Aufforderung?

Als die Asylbewerber nach Inning kamen, wollte ich mit dem helfen, was ich kann: reden und zuhören. Ich dachte, mit meinem Französisch könnte ich vielleicht übersetzen und den Menschen helfen, Zugang zum Deutschen zu finden. Daher habe ich mich der Gruppe Sprachförderung von Jutta Göbber im Helferkreis Asyl angeschlossen. Unter den Flüchtlingen der sogenannten Erstbelegung der Halle waren aber gar nicht so viele Französisch sprechende Menschen, dafür aber viele Syrer mit akademischer Ausbildung, die sehr gut Englisch sprachen. Mit der Zeit entwickelt sich da ein Vertrauensverhältnis, die Menschen erzählten von ihrer Flucht und wollten auch, dass ihre Geschichte bekannt wird. Anas zum Beispiel, ein Biochemiker, sagte mir, dass er geflohen ist, weil er Biowaffen bauen sollte. Er hat mir eine besonders schlimme Geschichte über seine Flucht erzählt. Er wurde sogar gefoltert. Und das nur, weil er seinen Fingerabdruck nicht hergeben wollte! Er hatte gehört, wenn er seinen Fingerabdruck in einem anderen Land abgibt, muss er dort bleiben. Er wollte aber nach Deutschland. Er war einer derjenigen, die mich gebeten haben, seine Geschichte aufzuschreiben.

Wie ging das vor sich?

Ich hatte ohnehin immer ein Notizbuch dabei, um alles aufzuschreiben, was an dem jeweiligen Tag passierte. Beispielsweise, wenn wieder einmal ein Düsenjet über die Halle flog und die Menschen "Bomb, bomb" schrien. Es war vielleicht auch eine Art Therapie für mich selbst, um zu verarbeiten, was ich da hören musste. Irgendwann haben sich die Flüchtlinge dann schon immer lustig über mich gemacht, wenn ich wieder mein Buch zückte. Zum Beispiel auch im Fall eines sehr jungen albanischen Paares, das ohne die Erlaubnis ihrer Eltern geheiratet hat und daher fliehen musste. Oder einer syrischen Familie, deren heute vierjährige Tochter heftige Verbrennungen bei einem Bombenangriff erleiden musste. Diesem Mädchen möchte ich nun gern helfen.

Wie?

In dem ich alles, was ich durch das Buch einnehme, für die weitere medizinische Behandlung dieses Mädchens ausgebe, ihr damit helfe, operiert werden zu können. Übrigens auch toll: Als ich mit meinem Steuerberater darübergeredet habe, wie man das macht, damit es keinen Ärger gibt, haben er und seine Kollegen sofort angeboten, in diesem Fall auf ihr Beratungshonorar zu verzichten. Auch bei allen Lesungen, die ich machen werde, verlangte niemand eine Raummiete, um auf diese Weise Unterstützung zu leisten. Das finde ich unglaublich toll, damit hatte ich nicht erwartet. Aber das Engagement und die Hilfsbereitschaft hier ist ohnehin sehr groß.

Auch darüber erzählen Sie in Ihrem Buch.

Ja, ich fand es wichtig, auch "unsere" Seite zu beschreiben. Aber nicht nur die positiven Aspekte. Ich wollte auch über unsere Erfahrungen, Erlebnisse, Ängste, Enttäuschungen berichten. Und eben darüber, wie uns dieses Aufeinandertreffen der Kulturen verändert. Ich denke da nur an meine eigene Mutter, die selbst aus einer Flüchtlingsfamilie kommt wie so viele andere hier. Sie hatte anfangs totale Berührungsängste, vielleicht auch der Sprachbarriere wegen. In ihrer Generation, mit Mitte 60, ist es nicht so normal wie heute, gut oder gar fließend Englisch zu sprechen. Heute ist sie diejenige, die mit dem kleinen syrischen Mädchen und ihren Eltern zu den Ärzten fährt.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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