Improvisierte Musik:Spiel mit Klang und Raum

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Analoge und digitale Musik im Einklang: Udo Schindler und Korhan Erel bei ihrem Auftritt in Krailling. (Foto: Arlet Ulfers)

Elektroniktüftler Korhan Erel stößt bei seinem Gastspiel im Kraillinger Salon ins Niemandsland der atmosphärischen Sounds vor. Udo Schindler sekundiert an Saxophon und Bassklarinette

Von Reinhard Palmer, Krailling

Korhan Erel lebt zwischen zwei Welten: zwischen seiner Geburtsstadt Istanbul und seiner Wahlheimat Berlin. Vielleicht wählte er deshalb die Elektronik zu seinem musikalischen Ausdrucksmittel, um sich nicht für eine Tradition entscheiden zu müssen, an die jeder analoge Musiker irgendwie immer anknüpft. Niemandsland also, obgleich sich jeder Mensch beim Kreieren von Klängen doch stets an Bekanntem und Vertrautem orientiert. Das dürfte auch in Erels Musik nicht anders sein, auch wenn es jetzt müßig wäre, aus der so üppigen Ad-hoc-Improvisation im Duo mit Bläser Udo Schindler in dessen Kraillinger "Salon für Klang+Kunst" einzelne Sounds herauszupicken, war die Rhetorik doch sehr dicht gewebt.

Als Mitbegründer der Istanbuler Improvisationsszene hat es der Klangtüftler gewiss gelernt, mutig ins Ungewisse vorzustoßen. Und das ist vor allem nötig, wenn Erel zu Steuerelementen greift, die man für gewöhnlich nur von den Computer-Bewegungsspielen her kennt. Sie dienen dazu, sportliche Bewegungen genauestens zu erfassen und auf dem Bildschirm entsprechend abzubilden. Als Musikinstrument bekamen bestimmte Aktionen mit den Steuerelementen in den Händen diverse Sounds hinterlegt. Je nach Bewegung, Position und Lage erklangen andere Sounds, konnten zu Motiven arrangiert oder in ihrer Charakteristik modelliert werden. Die Spielweise ist also der auf dem Theremin nicht unähnlich, wobei Erels Instrument mit weit reicheren Möglichkeiten ausgestattet war, von perkussiven Klängen über experimentell Geräuschhaftes bis hin zu satten Soundscapes.

Alles Spielmöglichkeiten, auf die sich Schindler mit Saxophon, Kornett und Bassklarinette gut einlassen konnte. Mit diversen Spieltechniken vermag er seinen Instrumenten die fremdartigsten Klänge zu entlocken. Zurückhaltend behalf aber auch er sich am Kornett mit elektronischen Mitteln, um scharf-dissonante Mehrstimmigkeit zu erzeugen. Dabei beherrscht er schon analog mit Luftstößen und Schnalzern beherrscht die perkussiven Effekte, wenn er nicht gerade seine Instrumente als Schlagwerk nutzt, indem er sie mit metallenen Dämpfern bearbeitet.

Während sich hier in dem Duo die analogen Blasinstrumente mit ihrer Klangdynamik hervortaten, zeichneten Erels elektronische Klänge vor allem räumliche Dimensionen aus. Ob nah, fern, entrückt, jenseitig oder einfach nur hallig: All die Sounds hatten großes Potential für Atmosphäre, der Erel allerdings nie die Zeit zur Entfaltung und Konkretisierung gab. Die Ad-hoc-Improvisation ist eben primär nicht auf Bilderzählungen aus, ist kein Mittel zum Zweck, sondern ein gänzlich unabhängiges Ausdrucksmittel. Assoziatives blieb bei Erel daher immer nur abstrahiert angedeutet, aus dem Kontext genommen, um Anregungen für Schindler zu liefern, dessen analogem Spiel größere Flexibilität hat. Per Touchscreen auf einem Tablet oder auch direkt auf einer Tastatur geklopft, löste Erel impulsiv und bisweilen nervös unentwegt neue klangliche Elemente aus, baute damit Strukturen, verdichtete zu Höhepunkten, steigerte das Chaos oder rhythmisierte repetitiv, bis sich aus synkopieren Motiven kurze Grooves herausbildeten. Und auf die stieg Schindler gerne ein, was die Instrumente in diesen Momenten eng zusammenbrachte. Als zeichentrickfilmartiges Micky-Mousing, wie man den punktgenauen Vertonungsduktus im Fachjargon nennt, kam noch ein humoristisches Element hinzu. Diese naive Anmutung hatte besonderen Reiz. Ein fesselnder Abend bis in die metallisch dominierte Zugabe.

© SZ vom 12.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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