Herrschinger Gespräche:Mehr als ein Stück Erde

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Christian Schiller und Steffen-Sebastian Bolz reden über Heimat

Von Marcella Rau, Herrsching

Heimat: Land, Landesteil oder Ort an dem man aufgewachsen ist. Dass man diesen Begriff, der in den letzten Jahren eine wahre Renaissance erlebt hat, nicht so einfach auf den Punkt bringen kann, wie der Duden es vorschlägt, steht für Diakon Hans-Hermann Weinen fest. Bei den diesjährigen Gesprächstagen der evangelischen Kirchengemeinde sollte das Thema in all seinen Facetten deshalb näher beleuchtet werden. Gäste der Diskussionsrunde waren am Dienstagabend Christian Schiller, Bürgermeister, der - nicht zuletzt durch sein Amt - tief verwurzelt ist an dem Ort, an dem er seit seiner Kindheit lebt, und Professor Steffen-Sebastian Bolz, Arzt, aufgewachsen in Lüneburg, der schon an vielen Orten gelebt hat. Vor wenigen Jahren ist er mit seiner Familie aus Kanada nach Herrsching gezogen. Aus beruflichen Gründen verbringt er noch immer viel Zeit in Toronto.

Trotz der unterschiedlichen Hintergründe weichen die Heimatbegriffe der beiden Gäste nur minimal voneinander ab. Worte wie "Familie, Erinnerung, innere Verbundenheit", finden sich in der einen oder anderen Form auf den Listen beider Gäste. Rechtliche und soziale Sicherheit - die Codes zu kennen, die dem gesellschaftlichen Miteinander eine Struktur verleihen, ist für Bolz außerdem ausschlaggebend. Orts- oder Landesgrenzen jedenfalls sind es nicht, die Heimat ausmachen, das steht für beide fest. Auch aus eigener Erfahrung weiß Schiller, dass sich diese nicht einfach auf den Geburtsort reduzieren lässt. Seine Frau Eva ist in Herrsching geboren, in der Kindheit jedoch weggezogen und erst im Erwachsenenalter zurückgekehrt. Bis sie sich richtig heimisch fühlte, sollte es Jahre dauern.

Sein Großvater, ein Vertriebener, erzählt Bolz, hatte bis zu seinem Tod ein Gefäß mit "Heimaterde" auf dem Fernseher stehen. Sie sollte ihn ins Grab begleiten. Eine solche Versessenheit auf Heimat als ein Stück Boden, eine Hand voll Erde, hält er für gefährlich. Heimat, so der Arzt, kann ein Anker für die Menschen sein, die von rasantem Fortschritt und Technologisierung tief verunsichert sind. Wo Heimat aber in Nationalismus, in Ausgrenzung umschlägt, wird sie zur Gefahr. Das wird durch das Erstarken nationalistischer Bewegungen deutlich.

Beispiele finden sich jedoch auch in Herrsching, wenn auch in anderer Dimension. Bürgermeister Schiller führt das geplante Einheimischenmodell auf der Breitbrunner Klosterwiese an, gegen das sich Anwohner, die teilweise selbst noch nicht allzu lange dort leben, vehement wehren. Heimat dürfe nicht bedeuten, andere davon auszuschließen und ihnen die Chance zu nehmen, selbst eine solche zu finden, so Schiller.

Wie aber findet man eine Heimat? "Vor dem Fernseher geht das nicht", so der Bürgermeister. Nur wer hinausgeht und sich im Ort einbringt, sich engagiert, kann heimisch werden.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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