Herrsching:Im Unruhestand

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Sich kurz zu fassen fällt Christian Ude schwer, der Zuschauer kommt auf seine Kosten. (Foto: Thiel)

Perfekt artikuliert und pointiert: Christian Ude begeistert als Kabarettist in Herrsching

Von Ute Pröttel, Herrsching

Christian Ude ist eine sichere Bank. Als Kabarettist ist er am vergangenen Freitag nach Herrsching gekommen. Im Gepäck "Szenen aus dem Ruhestand". Der Kulturverein hätte locker doppelt so viele Karten verkaufen können, wie Menschen in den Saal des Kurparkschlösschens gehen.

Seit zwei Jahren befindet er sich im Ruhestand, falls man das so nennen darf, wenn jemand regelmäßig in Gesprächsrunden mitdiskutiert, mit zwei Kabarettprogrammen auftritt und Ausstellungen eröffnet. Diese Woche war der ehemalige SPD-Oberbürgermeister von München in Dresden zum Thema Lügenpresse und hat am Abend zuvor in München eine Ausstellung zu dem Urban-Art Künstler Banksy eröffnet. Wahrscheinlich sind all die Termine aber nur Teil seiner langsamen Entwöhnung vom Terminpensum eines Oberbürgermeisters. Von Ruhestand kann also nicht wirklich die Rede sein. Ist es auch nicht. Denn die witzigsten Dinge sind Ude natürlich vor dem Überschreiten der "gesetzlichen Knackigkeitsgrenze" passiert. Sie gibt er perfekt artikuliert und sauber pointiert in epischer Länge zum Besten. So muss es auch bei den Minnesängern im Mittelalter gewesen sein. Wenn einmal das Schlüsselwort, etwa Bürgerversammlung oder Istanbul gefallen ist, läuft der Text von alleine. Was nicht heißen soll, dass der Zuschauer nicht auf seine Kosten käme. Fäkalwitzchen funktionieren immer, und so zitiert Ude seinen ehemaligen Kollegen Manfred Rommel aus Stuttgart: "Des Bürgermeisters täglich Brot ist der Hundekot." Bei Prostata brüllt der Saal, und auch Wortdreher wie die Verwechslung von Konifere und Koryphäe baut er geschickt ein. Sensationelle zwanzig Minuten walzt er die Geschichte aus, wie er zu einem Beratervertrag für die zweite Messe in Istanbul gekommen ist. Zur aktuellen Situation, der Anzeige des türkischen Präsidenten Erdogan gegen den Kabarettisten Jan Böhmermann dagegen kein Wort. Nach der Pause nimmt er allerdings Bezug auf das im fortgeschrittenen Planungszustand befindliche neue Gymnasium und skizziert den Gang der Geschäfte "vom Wunsch nach einer neuen Schule bis zur Bedarfsermittlung des Planungsreferates und die Anerkennung des Bedarfs durch einen Grundsatzbeschluss des Schulausschusses über den Grundsatzbeschluss des Bauausschusses zur Realisierung eines Bauvorhabens, das aber erst einmal eine Änderung des Bebauungsplans voraussetzt und dann eine finanzielle Absicherung im Mehrjahresinvestitionsprogramm und schließlich einen Architektenwettbewerb für das Gebäude und eine Baugenehmigung durch die Planungsbehörde von der Bereitstellung der Mittel durch die Kämmerei ganz zu schweigen und auch von der Bürgerbeteiligung bei jedem dieser Schritte." Das Stück stammt aus dem Buch Chefsache, das Ude immerhin 1999 veröffentlichte und scheint wenig an Aktualität eingebüßt zu haben. Bleibt zu hoffen, dass die Realisierung des Gymnasiums in Herrsching nicht 16 Jahre dauern wird.

Punkt 22 Uhr endet Ude. Packt entschlossen seine Bücher in das kleine Handköfferchen. Die Woche war anstrengend. Jetzt ist Feierabend. Eine Zugabe würde den Rahmen sprengen, denn sich kurz fassen fällt ihm schwer.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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