Herrsching:Frische Farben

Lesezeit: 2 min

Vivaldi und Strawinsky auf Kammermusik reduziert

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Steht "Gertrud Schilde & Friends" auf dem Programmheft, so hat man in der Regel kein Konzert in der üblichen Form zu erwarten. Die Geigerin und Münchner Hochschuldozentin, die in München, Chicago, Sydney und am Salzburger Mozarteum studierte, ist in vielen musikalischen Sparten zu Hause; sie versteht sich auf Neue Musik und Crossover, neigt auch experimentellen Musikformen zu und war an vielen Ur- und Erstaufführungen beteiligt, unter anderem von Alfred Schnittke, Jörg Widmann, Ennio Morricone, Hans-Jürgen von Bose, Masahiro Yamauchi, Norio Fukushi, Wilhelm Killmayer und Carl Oesterhelt. Dieses Projekt der von der Volkshochschule veranstalteten, traditionsreichen Herrschinger Konzerte im großen Saal des Hauses der bayerischen Landwirtschaft stemmte sie in gewisser Weise in Kooperation mit dem Modern String Quartet, einem der wichtigen Ensembles der Crossover-Szene.

Einerseits bezog sie nämlich Jörg Widmoser (Violine) und Andreas Höricht (Viola) in ihren Freundeskreis ein, andererseits griff sie auch auf Werkbearbeitungen aus den Reihen des renommierten Ensembles zurück. Widmoser hatte Antonio Vivaldis "Vier Jahreszeiten" für die kammermusikalische Besetzung recht unkonventionell umgedeutet, während Winfried Zrenner (Violine im Modern String Quartet) Igor Strawinskys opulente Ballettmusik "Le sacre du printemps" auf eine Sextettbesetzung reduziert hatte. Für die übrigen Stimmen lud Schilde noch weitere vielseitige Musiker ein, so Sissy Schmidhuber (Violoncello), Juan Sebastián Ruiz aus Panama (Kontrabass) sowie Stefan Blum (Schlagzeug).

Sich so populären und berühmten Werken experimentell zu nähern, ist eine heikle Angelegenheit, steht man doch immer in einem recht exakten Vergleich zum Original. Doch Vivaldis Jahreszeiten sind programmatisch untermauert und arbeiten mit Bildern, die gut neu ausgemalt, ja auch überzeichnet werden können. Blum lieferte für jede Jahreszeit einen improvisierten Prolog, der einerseits klangexperimentell die jeweilige Atmosphäre aufgriff beziehungsweise vorwegnahm, andererseits auf rhythmische Muster des vorhergehenden und des nachfolgenden Satzes einging.

Ein Konzept, das funktionierte, zumal sich die einzelnen Bilder über die jeweilige Vorlage durchaus hinwegsetzten, schon mal mit zeitgenössischen Spieltechniken frischere Farben annahmen oder auch den Raum für Improvisationen öffneten. Entscheidend war es, die jeweilige Charakteristik emotional entsprechend zu erfassen und sie in ihrer Aussagequalität auf Zeitlosigkeit einzuschwören.

Ein weitaus heikleres Unterfangen stellte Strawinskys polytonales und polyrhythmisches Orchesterwerk dar. Aber das Sextett setzte auf den Reichtum kammermusikalischer Mittel, die es vermochten, auch den Gesamteindruck bei Einhaltung der Proportionen zu skalieren. Dem Ensemble gelang es, sich trotz der starken Reduktion in die Atmosphäre des Werkes einzufühlen, um zwischen lyrischer Versponnenheit und eruptiver Kraftentfaltung einen expressiven Hochspannungsakt zu vollbringen.

Als entscheidend erwies sich der dramaturgische Bogen sowie der vor allem mittels Schlagwerk - insbesondere Trommeln - betont rituelle Grundcharakter der "Bilder aus dem heidnischen Russland". Das Publikum in Herrsching dankte den Musikern euphorisch.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: