Herrsching:"Die Natur machen lassen"

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Stellenweise werden die Kiesflächen von Schilf und anderen Pflanzen überwuchert. In manchen Bereichen geht der Bewuchs auch wieder zurück. (Foto: Georgine Treybal)

Der Biologe Burkhard Quinger hält wenig von Eingriffen an den Kiesufern des Ammersees und wirbt bei der Vorstellung einer BN-Studie für die natürliche Regeneration

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Auf alten Fotos hebt sich ein durchgehender Saum am Ostufer des Ammersees hell von der Umgebung ab. Den blanken Kiesstrand gibt es heute nur mehr an wenigen Stellen. Burkhard Quinger hat das gesamte Ammerseeufer untersucht, um die letzten Kiesbereiche zu finden und zu bewerten. Die Ergebnisse der Studie stellte der Biologe im Rahmen einer Veranstaltung des Bundes Naturschutz (BN) in Herrsching vor. Die wichtigste Aussage: Auch ohne Zutun des Menschen würde sich ein Kiesufer im Laufe der Zeit von selbst zurückbilden. Ein Gehölzstreifen mit bestimmten Weidenarten gefolgt von einem Buchenwald, seien typische Vegetationszonen.

Der Vortragsraum war fast zu klein, um allen Zuhörern Platz zu bieten. Vor allem die Mitglieder des Ostufervereins waren zahlreich erschienen. Aus anfänglichen Gegnern sind Verbündete geworden, soweit es um die Kiesufer geht. Ursprünglich war es den Vereinsmitgliedern darum gegangen, den überbordenden Bewuchs am Ammersee einzudämmen. Dabei sind die naturbelassenen Kiesufer immer mehr in den Fokus geraten. Quinger kam geradezu ins Schwärmen, als er die Strandabschnitte aufzählte: St. Alban mit den Quellaustritten, ein "absolutes Highlight", "die besten Ufer" am Rieder Wald, die "Perle" bei Mühlfeld, das "schöne" Stück am Froschgartl, Im Gegensatz zum aufgeschütteten künstlichen Kiesstrand sind die "Hirn"- oder "Furchensteine" auf dem natürlichen Kiesufer voller Kalkablagerungen und Einkerbungen.

Die abschmelzenden Grundmoränen der Eiszeit haben das Geröll mit sich gebracht, das an den Rändern der großen Seen im Alpenvorland übrig geblieben ist. Am Ammersee hauptsächlich am Ostufer, da dort meist die Wellen ans Ufer schlagen. "Das Kiesufer ist ein seltenes Biotop", erklärte Quinger. Die extrem schwankenden Wasserpegel des Sees, die über die Kiesel schwappenden Wellen und an manchen Stellen Quellwasser haben die Flächen ausgewaschen. Nährstoffarm sind die Böden und sie haben eine typische Vegetation gehervorgebracht. In den 40er-Jahren habe dort der langblättrige Sonnentau, der stengellose Enzian, Weißer Fingerhut geblüht. "Heute sind die alle weg", bedauerte Quinger. Auch Blaugras und Bunter Schachtelhalm, die er 2002 gesichtet hatte, fehlten mittlerweile. Alpenbinsen und Gelbsegge seien jetzt die häufigsten Pflanzen am Ufer. Der Rückgang der Kiesflächen begann in den 50er- bis 70er-Jahren. Damals war der Wasserstand besonders tief, und ohne Ringkanalisation sind viele Nährstoffe in den See geflossen. Die Folge: Schilf und Gehölze breiteten sich aus.

Über die Kiesufer habe er viel vom Ammersee-Ostufer-Vorsitzenden Reinhard Lidl gelernt, gab Quinger zu. Seine Untersuchungen hatte er mit über Generationen reichenden Beobachtungen über den Zustand des Ostufers ergänzt. Die kalten Winter mit Eisschollen am Ostufer hätten beispielsweise die Kiesel bei der Schneeschmelze auf natürliche Weise blank geputzt. Der Kanal sei nicht schuld am Verschwinden der Kiesflächen, sagt Quinger. Im Gegenteil: Weil das Wasser nun sauber ist, würden sich die Ufer allmählich regenerieren. Mit Fotos von Schilfstoppeln in Wartaweil belegte er, dass sich das Schilf zurückzieht, der dichte Bewuchs mit Gras löse sich langsam auf.

Quinger hat auch den Effekt der Auslichtung am Ostufer untersucht. An einer Stelle ist die Entbuschung seiner Ansicht nach aus biologischer Sicht misslungen. Zuviel Humus hätte sich mit dem Kies vermischt, mit der Folge, dass das Kies mit "falschem" Gras überwachsen wird. Und es dürfte auch nicht jedes "störende" Gehölz gefällt werden. In der Nähe des BN-Hauses stehe beispielsweise eine Lorbeer-Weide, "eine der seltensten Weidenarten überhaupt". "Die Natur machen lassen", ist laut Quinger das probateste Mittel. Die natürliche Regeneration habe einen entscheidenden Vorteil gegenüber Eingriffen von Menschenhand, die von verschiedenen Behörden genehmigt werden müssten: "Der See braucht keine Erlaubnis". So wie früher werde es aber schon alleine wegen des Klimawandels nicht mehr werden.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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