Herrsching:Bewusst leben

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Abtprimas Notker Wolf spricht über das Älterwerden: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an.

Sylvia Böhm-Haimerl

HerrschingMit 66 Jahren, da fängt das Leben an", lautet ein bekannter Song des Schlagersängers Udo Jürgens. Und so mancher fragt sich, ob man tatsächlich erst alt werden muss, um das Leben genießen können. "Alles hat seine Zeit, und alles hat sein Maß", heißt die Antwort von Abtprimas Notker Wolf, dem höchsten Repräsentanten des Benediktinerordens. Auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde Herrsching sprach er am Mittwoch zum Thema Älterwerden. Und das Thema kam an. Die Besucher standen vor dem Kultursaal im Andechser Hof Schlange, um noch einen der Plätze zu bekommen. Endlich das tun, was man während der Familien- und Berufsphase versäumt hat: Das wünschen sich viele Rentner. Andere sind krank, und das Leben wird ihnen zur Last. Und wieder andere lesen täglich die Todesanzeigen in der Zeitung und fragen sich, womit sie es verdient haben, noch zu leben, wenn Jüngere sterben müssen. Schauen Sie ruhig weiter Todesanzeigen an und freuen sich des Lebens", rät Abt Notker Wolf. Die Vorstellung, bestraft zu werden mit dem Tod, findet er "eigenartig". Man könne Gott nicht für alles verantwortlich machen. Das Leben sei ein Geschenk, ein Geschenk auf Zeit. Und der Tod gehöre dazu. "Das Leben ist ein Bogen", sagt er, "und dieser Bogen hat ein Ende". Aus eigener Erfahrung weiß der auch als Rockmusiker bekannt gewordene Abtprimas jedoch, dass es mit 70 Jahren zu einer Sinnkrise kommen kann, wenn man bemerkt, dass man physisch und psychisch älter wird. Altern sei in unserer Gesellschaft negativ besetzt. Und der Mensch bäumt sich auf gegen das Altwerden, das einhergeht mit Falten, Vergesslichkeit und Langsamkeit. Daher müsse man in den Lebensbogen hineingehen, so Wolf, und nicht alles verbergen, was mit dem Alter zu tun hat. Man könne durchaus Souveränität über sich und sein Leben gewinnen und das Positive herauskehren, das man noch hat. Das Abwerfen von Ballast und das Abgeben dürften nicht als Verlust gesehen werden, sondern vielmehr als Gewinn von Freiheit, etwas Neues zu tun, so Wolf. Von Schönheitsoperationen und Diäten, um das Alter zu verstecken, hält er gar nichts. Und Fitness sollte altersgemäß betrieben werden, ganz nach der Benediktinerregel: "Finde das richtige Maß". Dieses Maß sollte man auch dann halten, wenn man das Leben genießt, denn man dürfe "nicht den Faulenzerweg gehen", rät der Abt. Das Leben als Bogen sollte in Freude und Nüchternheit angenommen werden, Krisen sollte man gelassen und in Demut ertragen. Der alte Mensch sollte sich nicht aufgeben, sich stattdessen neue Ziele setzen und beweglich bleiben. Da ist es gut, wenn man den Glauben hat, am besten sogar, wenn man im Kloster ist und nach den Regeln des Heiligen Benedikt lebt. Denn Benedikt rät dazu, jeden Tag bereit zu sein für den Tod und dankbar zu sein, für die Jahre, die man hatte. Der Glaube hilft, alles in die Hand Gottes zu legen. Das ermuntert uns zur Gelassenheit, Distanz und Weisheit", sagt Notker Wolf. Doch wie erwirbt man Gelassenheit und Weisheit, wollten die Besucher im Andechser Hof wissen. Die Grundlage der Weisheit sei, schon beizeiten zu lernen, wo die wahren Werte des Lebens liegen, sagt der Abt. "Das verlangt sehr viel an Reflexion und bewusstes Leben."

Beweglich bleiben, rät Notker Wolf beim Thema Älterwerden. Foto: Treybal (Foto: Georgine Treybal)
© SZ vom 27.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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