Heimatgeschichte:Vom Kuhstall zur Amtsstube

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Das Inninger Rathaus hat eine bewegte Vergangenheit. Nachzulesen in einem Büchlein der Ortshistoriker

Von Astrid Becker, Inning

Das Rathaus von Inning kennt Bürgermeister Walter Bleimaier schon immer - nicht, weil er selbst in Buch, einem Ortsteil der Gemeinde, aufgewachsen ist. Nein. Sondern, weil er als kleiner Bub den Kindergarten besucht hat, der damals noch in dem Gebäude in der Pfarrgasse untergebracht war. Eine bewegte Geschichte hat das Verwaltungsgebäude hinter sich, dessen An- und Umbau am vergangenen Samstag offiziell eingeweiht und den Bürgern mit einem Tag der offenen Tür vorgestellt wurde. Die Geschichte des Baus ist sogar so abwechslungsreich, dass sich Jutta Göbber, Edeltraud und Horst Schramm vom Verein Heimatgeschichte Inning nicht nur die Mühe gemacht haben, für diesen Tag eine Ausstellung im Rathaus zusammenzustellen, sondern auch ein Büchlein zu diesem Thema herauszugeben.

Bürgermeister Walter Bleimaier kennt sein Rathaus schon von Kindesbeinen an. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Denn genau genommen gibt es kaum etwas, was noch nicht in dem Gebäude im heutigen Ortszentrum untergebracht war. Ein Krankenhaus war es wohl noch nicht und auch kein Lazarett in den Zeiten der beiden Weltkriege. Und sicherlich auch noch keine Kirche, wenngleich die Pfarrer am Ort in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart immer wieder mal einen genauen Blick darauf warfen, was im einstigen "Schusterjacklgütl" so vor sich ging und geht. Zumindest, seit es der Gemeinde gehört - und das werden heuer immerhin 114 Jahre.

Im "Schusterjacklgütl" war ein Armenhaus, ein Schulsaal und sogar eine Wirtschaft. (Foto: Heimatgeschichte)

Davor hatten das Schusterjacklgütl gleich mehrere Familien in Besitz. Der Hausname jedenfalls reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück - und weist bereits darauf hin, dass es Bauern damals nicht gerade einfach hatten, ihren Lebensunterhalt rein durch die Landwirtschaft zu bestreiten. Nicht einmal dann, wenn sie, wie in diesem Fall, über 20 Tagwerk, also etwa sieben Grund verfügten, einen für damalige Verhältnisse mittelgroßen Hof besaßen. Angewiesen waren sie oftmals darauf, ihr nicht gerade üppiges Einkommen durch einen Nebenerwerb, ein Handwerk aufzubessern. Beim Schusterjacklgütl war das, Schuhe zu flicken und vielleicht herzustellen. Was aus diesen ersten Besitzern wurde, weiß man nicht, ihre Nachfolger hingegen, eine Familie Thalmayer, bewirtschafteten den Hof offenbar über mehrere Generationen - von 1805 bis 1884. Doch auch sie blieben nicht der reinen Landwirtschaft treu, sondern waren wohl auch Wirte mit eigener Schlachterei. "Da hinab" soll der Name des Gasthauses gewesen sein, das möglicherweise zuletzt, 1884, vom ehemaligen Pächter des Gasthofs "Plonner" noch durch ein Sommerhaus und eine Kegelbahn erweitert wurde - die sich übrigens genau dort befanden, an dem heute der neue Anbau an das Rathaus steht. Bei den Bauarbeiten 2016 wurden dort die Reste eines alten Eiskellers entdeckt, ein Gewölbe, in dem Wirte gern ihr Sommerbier lagerten, das aber auch als Kühlschrankersatz herhalten musste.

Der Eiskeller ist bei den Arbeiten am neuen Anbau entdeckt worden. (Foto: Heimatgeschichte)

Sehr viel Glück hatten die Besitzer nach den Thalmayers aber nicht mehr mit dem Schusterjacklgütl. Zumindest verzeichnet das Besitzkataster nicht weniger als sechs Eigentümer innerhalb von 20 Jahren, also bis 1904, dem Jahr, in dem die Gemeinde das Anwesen nebst lebendem Inventar, also dem Vieh, und den landwirtschaftlichen Flächen, erwarb. Was aus den Tieren wurde, mit Ausnahme der "zwei Frischlinge und sämtlichen Hennen", die beim Verkäufer verblieben, ist nicht bekannt. Die landwirtschaftlichen Flächen allerdings verkaufte die Gemeinde, um den Kauf des Hofs damit zu finanzieren. Ihr war daran gelegen: Es fehlte ihr nicht nur an eigenen Räumen, sondern auch an einem Armenhaus. Die Fürsorge für die Armen und deren Unterbringung war aber seit 1818 eine Pflichtaufgabe der Kommunen, die 1869 in der Gemeindeordnung sogar noch einmal untermauert wurde.

Der alte Trakt ähnelt noch dem ursprünglichen "Schusterjacklgütl". (Foto: Heimatgeschichte)

Im März 1906 brannte es in dem Haus. Die Rede war sogar von einer Brandstiftung, die zwei Monate zuvor in einem Brandbrief angekündigt worden sein soll - angeblich, um so die schlechte Auftragslage der Bauwirtschaft wieder anzukurbeln. So recht unglücklich war über das Feuer jedenfalls kaum jemand, denn schon bald stand fest, dass der ehemalige Stall- und Scheunentrakt des Hofes wieder aufgebaut werden sollte. In Inning wurde heftig diskutiert, was neben den Armen noch in dem Anwesen untergebracht werden könnte. Eines allerdings stand nicht zur Debatte: die Nutzung des Gebäudes als reines Rathaus. Denn so etwas gab es damals nur in Städten, nicht in kleinen Dörfern. Also entschied man, im Erdgeschoss des Gebäudes nicht nur sechs Zimmer für die ärmeren Gemeindebürger einzurichten, sondern auch die Gemeindekanzlei unterzubringen. Der erste Stock hingegen war für einen dritten Schulsaal vorgesehen, denn die beiden bisherigen Räume an der Landsberger Straße waren viel zu klein geworden. Geplant wurde dort daher ein 99 Quadratmeter großer Raum, in dem 80 Schüler Platz finden sollten - oder besser gesagt: Schülerinnen. Denn der dritte Schulsaal sollte nur Mädchen vorbehalten sein. Direkt daneben wurde eine kleine Lehrerwohnung situiert - übrigens für eine Frau, was zu dieser Zeit ähnlich progressiv gewesen sein dürfte wie die Tatsache, eine reine Mädchenklasse einzurichten.

Anstoß jedenfalls erregten die Pläne nicht nur beim damaligen Pfarrer, sondern auch beim zuständigen Bezirksschulinspektor, der es "nicht für glücklich" hielt, wenn junge Mädchen in einem Haus ein- und ausgingen, in dem auch die Ärmeren des Ortes untergebracht wurden. Aber auch dieser Einwand wurde geschickt entkräftet: Die Mädchen betraten ihre Schule über das Treppenhaus im alten Teil des heutigen Rathauses, die Armen über einen eigenen Eingang vom heutigen Sportweg, direkt hinter dem Gebäude, aus. Wie erst jetzt beim Umbau der ehemaligen Armenzimmer festgestellt wurde, hatte man auf einen ordentlichen Fußboden dort verzichtet - und damit auch ein jahrelanges Rätsel gelöst: Die in diesen Räumen untergebrachten Rathausmitarbeiter hatten sich immer wieder über ihre feuchten Büros gewundert.

Während des Dritten Reiches war die Sache mit der Mädchenschule allerdings passé: Die Reichsführung ordnete an, den Saal zugunsten einer Kindergartengruppe zu räumen. Nach dem Krieg waren die Platzverhältnisse noch beengter, denn dann galt es erst einmal, sudetendeutsche Flüchtlingsfamilien in dem Gebäude unterzubringen. Den Schulsaal in dem Bau gab es erst 1948 wieder, der in den 1950ern auch immer wieder als Turnhalle genutzt wurde. Für die Gemeindeverwaltung blieb da nur wenig Raum, und die Situation verschärfte sich dann nach der Gebietsreform noch weiter, als 1975 Buch an Inning angeschlossen wurde. Der Gemeinderat tagte derweil im Feuerwehrhaus, bis 1997 die neue Schule am Wasenfeld gebaut wurde. Erst von diesem Zeitpunkt an verwandelte sich das "Armen und Gemeindehaus" von Inning in ein richtiges Rathaus.

Das Büchlein des Vereins Heimatgeschichte Inning kostet fünf Euro und ist im Schreibwarengeschäft Schroeren, im Café Huttner sowie unter der Telefonnummer 08143/1515 und 1465 erhältlich.

© SZ vom 04.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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