Hanfeld:Rückkehr ins Klassenzimmer

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Angela Böhm ist zwar schon in Rente. Doch jetzt unterrichtet sie Flüchtlingskinder. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Angela Böhm ist pensionierte Lehrerin - und unterrichtet wieder

Von Marcella Rau, Starnberg

Der Ruhestand war nichts für Angela Böhm, das wurde der passionierten Grundschullehrerin schnell klar. Endlich Ruhe, endlich Zeit. Zeit für sich, Zeit um sich die Welt anzusehen. Aber Zeit wird auch schnell langweilig. Auch Angela Böhm zog es zunächst in ferne Länder. Namibia, Mauritius, Südafrika. Doch irgendwann kam sie ja doch immer wieder zurück in ihr idyllisch gelegenes Heim in Hanfeld, und dort erwartete sie nichts als Leere. Innerlich zumindest. Sie fing an zu grübeln. Über das Leben und auch über den Tod. Die Rente bedeutete für die heute 68 -Jährige nicht den wohlverdienten Ruhestand. Vielmehr fühlte sie sich, als sei ihr Lebensband plötzlich durchtrennt worden, wie sie es ausdrückt.

Vom allerersten Tag an, in dem sie als kleines Mädchen das erste Mal Schule betrat und die Lehrerin vorne an der Tafel stehen sah, mit der Kreide in der Hand, wusste sie: Genau das ist es, was sie auch einmal machen möchte. Und daran änderte sich auch zeitlebens nichts. 40 Jahre lang unterrichtete sie Kinder in verschiedenen Schulen rund um München. Zuletzt in Unterhaching. Kinder bedeuten für sie Leben. Diese Fröhlichkeit. Diese Unbeschwertheit. All das wurde ihr mit einem Schlag genommen, bis eines Tages - man muss fast sagen, aus heiterem Himmel, ein Brief in ihrem Briefkasten landete. Absender: die Regierung von Oberbayern. Er richtet sich an alle Grundschullehrer, die in den vergangenen Jahren den Ruhestand angetreten haben. Ob sie nicht bereit wäre, zurück zu kehren an die Schule, um dort Flüchtlinge in Deutsch zu unterrichten, wurde sie darin gefragt. Das war im Herbst 2015. Böhm zögerte keine Sekunde. Sie hatte bereits zuvor ehrenamtlich Kinder mit Migrationshintergrund unterrichtet, die sich mit dem Deutschen noch schwer taten.

Alle anderen Lehrer in ihrem Bekanntenkreis hielten sie für verrückt. Noch einmal zurück? Zu diesem Lärm? In diesem mörderischen Beruf? Für sie jedoch klang das Angebot viel mehr nach: zurück ins Leben, und ja, auch - endlich wieder Kinderlärm. Umgehend nahm sie Kontakt zum Schulamt Starnberg auf, und schon kurze Zeit später fand sie sich in der Ferdinand-Maria-Grundschule wieder. Gemeinsam mit einer Kollegin, die ebenfalls bereits im Ruhestand war, sollte sie von nun an etwa zehn Schüler unterrichten, die vor allem aus Syrien und Afghanistan stammten und nun in einem Containerdorf untergekommen sind.

Es wäre gelogen zu behaupten, dass es keine Herausforderung gewesen sei, mit den Kindern zu arbeiten, die anfangs weder ein Wort Deutsch noch Englisch sprachen. Dennoch stellte Böhm sich der Herausforderung. Zwei Tage die Woche unterrichtet sie nun ihre neuen Schüler, die ihre restliche Schulzeit mit den anderen Grundschülern in den regulären Klassen verbringen. Teils in Einzelstunden, manchmal in Gruppen, je nach dem wie viel Förderung sie benötigen.

Was sie motiviere, auch wenn es einmal schwierig ist? Es seien doch nur Kinder, und Kinder könnten am allerwenigsten für all das Leid, dass sie ertragen mussten, sagt Böhm. Und ganz selbstlos ist das Ganze ja auch nicht: Endlich ist da wieder Leben, endlich wieder Kinderlärm. Der Ruhestand kann da ruhig noch ein bisschen warten.

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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