Gilching:Kunst aus der Dose

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Die Zeiten schnell gesprühter Graffiti in Nacht- und Nebelaktionen sind vorbei. Heute legt Melander Holzapfel bei seinen Kunstwerken Wert auf Qualität. (Foto: Arlet Ulfers)

Melander Holzapfel alias "Lando" gehört zu den gefragtesten Graffiti-Künstlern und wird für spektakuläre Events gebucht. Eine Ausstellung im Rathaus blickt zurück auf die Anfänge seiner Karriere

Von Patrizia Steipe, Gilching

Ein Regal voller Farbspraydosen, davor eine leere Leinwand. Im Zeitraffer sieht man den Künstler ausgestattet mit Atemschutzmaske und Handschuhen hantieren: Farbdose nehmen, schütteln, sprühen. Auf der Leinwand bildet sich ein dunkler Hintergrund, darauf ein bunter, flächiger Graffiti-Schriftzug. Farbdose nehmen, schütteln, sprühen: ein Skorpion entsteht. Mit seinen Zangen umklammert er die Buchstaben. Der Künstler greift einen dicken Filzstift, zeichnet Konturen und Linien, dann packt er wieder eine Dose, lässt einen hellen Sprühregen fein dosiert auf das Bild niedergehen. Buchstaben und Insekt werden dreidimensional und scheinen sich von der Leinwand zu erheben. Das Bild aus dem Demofilm hat der Gilchinger Graffitikünstler Melander Holzapfel ein paar Schritte weiter als Original in den Gang des Gilchinger Rathauses gehängt.

"Dirty Thirty - Graffiti since 1987 by Lando" hat der 43-Jährige die Ausstellung seiner Werke aus den vergangenen 30 Jahren genannt. Das Wort "dirty" (engl.: dreckig) ist dabei auf der Einladungskarte durchgestrichen. Melander Holzapfel alias "Lando" hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom illegalen Sprayer und Teil der Münchner Graffiti-Szene zum arrivierten und oft gebuchten Alternativ-Künstler mit eigener Agentur gemausert. Seine Kunden heißen BMW, Audi, Siemens, Oberpollinger, Ikea, Sony oder Adidas.

Die blanken Sichtbetonwände des Gilchinger Rathauses wecken bei Lando kein Begehren. Es jucke ihn gar nicht, sich auf den nackten Mauerflächen zu verewigen. Bei Nacht- und Nebelaktionen schnell aufgesprühte Graffiti müssten unter Zeitdruck realisiert werden, Lando ist heute Qualität wichtiger. Im Rathaus kann man nur erahnen, was er damit meint. Die Fotos seiner Werke haben allerdings nicht annähernd die Wirkung wie seine überdimensionalen, oft hunderte Quadratmeter großen Graffiti mit ihren abstrakten und figurativen Themen. Auch in Starnberg findet man zwei seiner Graffiti: Die Unterführung beim Volkstrachtenverein und die am Waldspielplatz hat er gestaltet. Wenn es nach dem Künstler ginge, könnten ruhig weitere Aufträge aus dem Landkreis folgen. "Ich möchte die Kunst auf's Land bringen, den Landkreis für mich gewinnen", sagt er. Dafür sucht er eine große Fassade.

Begonnen hat Holzapfels Graffiti-Karriere in seinem Heimatort Eichenau. Das Foto von seinem ersten "Piece" zeigt eine gesprayte, zweifarbige Buchstabenkombination. "Mein erstes Peace" hat Lando darunter geschrieben. "Peace" bedeutet Frieden, denn den hat Holzapfel schon lange mit seiner wilden Vergangenheit geschlossen. Graffiti-Kunst ist längst salonfähig geworden. Der Guerillakunst haftet der Nimbus von Freiheit, von Unangepasstheit, Jugend und Rebellentum an und diesen Effekt nutzen Firmen gerne für ihre Werbung. Es sind spektakuläre Kunstevents für die Lando heute gebucht wird. Die jüngste Aktion war eine Performance bestehend aus Sprayen und Tanz bei der Eröffnung der neuen Lackiererei von BMW. Mit seinem Kollegen CisCis sprühte er auf eine drei mal fünf Meter hohe Leinwand am Zaun des Trainingsplatzes vom TSV 1860 das Trikot der Saison oder erinnerte mit einem Graffiti auf einer Mauer am Münchner Viehhof an den verstorbenen Sänger David Bowie.

Das erste Stockwerk des Gilchinger Rathauses ist alten Zeiten vorbehalten. Ein Foto seines 1992 verstorbenen Freundes Chromz vor einem riesigen Graffiti hängt da und natürlich die bemalte S-Bahn, die er ihm gewidmet hatte. Erst vor kurzem hat Lando das Bild vom "heißesten Hotspot" an der Hackerbrücke gesprayt. "The Eye" hat er sein Gemälde eines Industriegebäudes genannt. "Wer darauf gemalt hatte, war der König", erinnert sich Holzapfel. Ein wenig hat es ihn dann doch noch in den Fingern gejuckt. Auf dem Bild sieht man ganz klein eine Unterschrift auf der Mauer.

Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Juni während der Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen.

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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