Gewitterfront:Ein gewaltiges Unwetter

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Blitze, Sturm und Starkregen legen Dienstagabend das Fünfseenland lahm. Die Feuerwehr registriert 155 Einsätze, für 27 000 Haushalte fällt der Strom aus, Bäume blockieren wieder die S-Bahn, Förster spricht von Katastrophe

Von Armin Greune, Starnberg

Tausende umgefallene Bäume, blockierte Hauptstraßen und mehr als 155 Feuerwehreinsätze. Dazu erneut Chaos bei der Bahn und stundenlange Stromausfälle: In der Nacht zum Mittwoch stand der Landkreis Starnberg im Zentrum eines gewaltigen Unwetters. Erst am Sonntag hatten Sturmböen und Hagel Teile des südlichen Fünfseenlands entlaubt, doch in der Starnberger Rettungsleitzentrale gingen da nur vereinzelte Alarmmeldungen ein. "Die letzten Wochen hat es rund um uns eingeschlagen, und wir sind verschont geblieben", sagte Kreisbrandrat Markus Reichert am Mittwoch: "Aber so wie gestern hat es uns schon lange nicht mehr erwischt." Auch in den nächsten Tagen stehen dem Alpenvorland weitere Unwetter bevor: In der Nacht zu Donnerstag und am Wochenende rechnet Alfred Messmer mit erneuten Gewittern. Der Wetterbeobachter vom Hohen Peißenberg konnte Dienstagabend extrem viele Entladungen über dem Fünfseenland registrieren: Grund dafür seien die "mit elf Kilometer außerordentlich hohen Gewitterwolken" gewesen. In ganz Süddeutschland wurden 170 000 Blitze gezählt. Auf dem Hohen Peißenberg fielen von 21 bis 22 Uhr rekordverdächtige 33 Liter Regen pro Quadratmeter; an der Wetterstation Rothenfeld waren es sogar 38, was im Schnitt nur alle zwei Jahre einmal vorkommt. Im Kreis Starnberg standen viele Straßen mehr als 20 Zentimeter tief unter Wasser. Selbst die Starnberger Feuerwehr war betroffen: Ihr Gerätehaus wurde teilweise überflutet, ein Teil der Mannschaft konnte nicht ausrücken, sondern musste bis 22.30 Uhr die Halle freipumpen. Die übrigen waren an den 50 Einsätzen im Stadtgebiet beteiligt oder halfen den Pöckinger Kollegen, wo ein Baum auf eine Stromleitung gestürzt war.

Erst 18 Stunden nach dem Unwetter wurde die Staatsstraße am Starnberger See wieder für den Verkehr freigegeben. Um die Fahrbahn bei Possenhofen zu räumen, war der Einsatz von schwerem Gerät notwendig. (Foto: Nila Thiel)

Allein in der Kreiseinsatzzentrale registrierte Reichert 155 Einsätze, darunter 70 vollgelaufene Keller und 59 umgestürzte Bäume. Notfälle, die direkt bei den Feuerwehren gemeldet wurden, sind dabei noch nicht erfasst. Reichert ließ 28 Feuerwehren und das THW ausrücken, die Einsätze konzentrierten sich südlich der Linie Herrsching-Starnberg, während Berg, Inning und Gilching verschont blieben. Auch am Mittwochmorgen waren die Feuerwehren Pöcking, Feldafing und Söcking mit der Aufarbeitung der Schäden beschäftigt; die Staatsstraße bei Possenhofen war sogar bis zum Nachmittag gesperrt.

Blitze zuckten am Dienstagabend über den Starnberger See, auf dem die MS Starnberg ihre Runde drehte. (Foto: Nila Thiel)

Unmittelbar nach dem Unwetter waren unter anderem die B2 bei Traubing und in Starnberg sowie die Starnberger Straße in Andechs durch Bäume blockiert, die Seefelder Straße in Herrsching war wegen Muren gesperrt. Ein Andechser übersah nahe Machtlfing zwei Stämme über der Straße,bei der Kollision hob sein Auto ab und kam einige Meter weiter zum Stehen, beide Insassen blieben unverletzt. In Pöcking wurden mehrere Autos unter Bäumen begraben. In Widdersberg durchschlug ein Baum ein Hausdach, ein Ast bohrte sich in das zum Glück leere Ehebett. In den Wäldern wurden zahllose Altbäume entwurzelt, es wird Wochen dauern, bis alle Schäden erfasst sind. "Es ist wirklich eine Katastrophe", sagt Förster Luitpold Schneider. Von 20.40 Uhr an fiel der Strom bei 6000 Haushalten in Andechs, Tutzing, Feldafing, Starnberg und Pöcking aus; die meisten blieben zwei Stunden, etwa 1000 Haushalte vier Stunden lang ohne Elektrik. 21.06 Uhr schlug ein Blitz ins Umspannwerk Dießen ein, etwa 15 000 Haushalte von Schondorf bis Weilheim mussten bis zu 70 Minuten ohne Strom auskommen. Seeshaupt erlebte von 21.09 Uhr an einen einstündigen Blackout, 4000 Haushalte in der Umgebung waren betroffen. Auch für 2000 Haushalte in Gilching und Krailling war die Energieversorgung bis zu 90 Minuten lang unterbrochen. In Perchting, wo zeitweise ein mobiles 600 kV-Aggregat installiert war, konnten die letzten Häuser erst Mittwochnachmittag angeschlossen werden. Wegen umgestürzter Bäume wurde der Bahnverkehr zwischen Gauting und Tutzing eingestellt. Bis Mittwochnachmittag war die Strecke Starnberg-Tutzing nur eingleisig befahrbar, Regionalzüge ersetzten die S-Bahn. Es kam zu langen Verspätungen, zumal auch am Leuchtenbergring eine Oberleitungsstörung auftrat. Erst am 7. Juli hatte ein umgestürzter Baum zwischen Gauting und Starnberg die S 6 das ganze Wochenende über lahmgelegt.

Auch die Dampferfahrt des Fünf-Seen-Filmfestivals geriet Dienstagabend ins Unwetter. Die Uttinger Seebühne musste ihre Vorstellung abbrechen: "Man kann von Glück reden, dass niemandem etwas passiert ist", sagt Seebühnenregisseur Florian Münzer. Es war heuer bereits das dritte Mal, dass eine Aufführung nicht zu Ende geführt werden konnte.

Meteorologen gehen davon aus, dass der Klimawandel für die auffällige Häufung von Unwettern in diesem Sommer mitverantwortlich ist. Allein im Juli wurden auf dem Hohen Peißenberg zehn Gewittertage registriert, der Monat fiel um 1,7 Grad wärmer aus, als im langjährigen Mittel. Der Juni war sogar der drittwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1781. Warme Luft speichert mehr Wasser, das heuer besonders oft zwischen einem Atlantiktief und einem Mittelmeerhoch über Mitteleuropa sturzbachartig freigesetzt wurde.

© SZ vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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