Gauting:Traurige Liebe

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Schreibt zur Zeit an fünf Büchern gleichzeitig: die aus Leningrad stammende Autorin Lena Gorelik. (Foto: oh)

Lena Gorelik liest in Gauting aus ihrem Roman "Null bis unendlich"

Von Blanche Mamer, Gauting

Eigentlich hatte Nils Liebe seinen Platz schon in einem anderen Roman. "Doch plötzlich wusste ich, ich muss ein Buch schreiben über Nils Liebe - und so heißt es für mich", sagt Lena Gorelik bei ihrer Lesung in der Buchhandlung Kirchheim in Gauting. "Null bis unendlich" heißt der Roman, der im September bei Rowohlt herauskam, und fast noch wichtiger als Nils Liebe ist Sanela, seine erste Liebe. Als 14-Jährige war sie aus Bosnien geflüchtet, ihre Eltern hatte sie im Jugoslawien-Krieg verloren, und weil sie kein Deutsch konnte, wurde sie in der Schule neben den hochbegabten Außenseiter Nils Liebe gesetzt. Doch das erfährt der Leser zunächst nur vom Klappentext. Denn der Roman beginnt fast 20 Jahre später. Mit einem Dialog, in dem Nils Liebe ihr mitteilt, dass er sich entschieden habe, sie nicht zu lieben. "Der Dialog stand zuerst ganz woanders , doch dann wurde mir klar, der gehört an den Anfang, auch wenn er so viel verrät." Er verrät, dass diese Liebe ihm nicht gut tut.

Lena Gorelik, die selbst 1992 als Elfjährige mit ihren russisch-jüdischen Eltern aus Leningrad nach Deutschland kam, erzählt, dass sie, als sie vor zwei Jahren mit dem Schreiben des Romans begann, nicht ahnte, wie drastisch die Beschreibung dessen war, was Sanela während des Krieges und auf der Flucht erlebte. "Hätte ich das gewusst, hätte ich wohl so nicht geschrieben", erklärt sie. Und betont, dass es nicht ihre Erlebnisse sind. "Doch das Ankommen, die Sprachlosigkeit, das Fremdsein, das kenne ich." Heute ist Deutsch ihre Sprache, ihr Russisch ist auf dem Stand der Elfjährigen - auf Barbie-Puppen-Niveau- geblieben. Alles was die Autorin beschäftigt, was sie liest, worüber sie nachdenkt, was sie umtreibt, fließt in den Roman ein und wird Teil der Brüche in dieser seltsamen Liebesbeziehung.

Denn es gibt auch noch Sanelas Sohn Niels-Tito, "der Junge", der die Menschen nicht anschauen mag, nicht angefasst werden will und von der Zahl Elf besessen ist. Da sein Vater tot ist, ist er der Grund für Sanela, nach 15 Jahren Nils Liebe wieder zu finden. Denn sie ist schwer krank und braucht jemanden, der sich um ihren Jungen kümmert. Also Nils! Der immer Nils Liebe genannt wird, einfach, weil er Nils ohne e und Liebe mit e ist.

Es ist schon eine besondere Beziehung, die Gorelik mit ihrer Figur verbindet. "Ich bin ihm näher, aber zusammen mit ihm liebe ich auch Sanela", sagt sie später. Obwohl sie an ihr schon fast verzweifelt wäre!

Er ist Journalist, immer noch von außerordentlicher Intelligenz, doch ohne Konturen, mit Schwierigkeiten im Alltag, unsicher in seinen Gefühlen. Und so könnte die Erkenntnis, dass es ihm nicht gut tue, Sanela zu lieben, eine starke Entwicklung sein. Doch das wird später alles revidiert. Als er sagt, er liebe sie, einfach so - hat ihr die Antwort missfallen.

Die Geschichte ist kompliziert, die Zeitebenen sind ineinander verwoben, das Erinnern kommt wie aus dem Nichts und ist doch immer da, das Unglück auch. Doch es darf nicht ausgesprochen werden, Wahrheiten auch nicht. Sanela, die Wahrheiten anspricht, hatte schon als Kind erkannt, dass die Menschen sie nicht hören wollen. Der Roman ist spannend und traurig und schön. "Man muss keine Bücher schreiben, die mit einem Happy-End enden", findet die Autorin. Auch wenn sie ihren Protagonisten ein langes glückliches Leben gewünscht hätte. Jetzt schreibt sie an fünf Büchern. Welches gewinnt und sich zu Ende schreibt, steht in den Sternen.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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