Gauting:Pädagoge des Kabaretts

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Singt und spielt richtig gut Gitarre: Frank Lüdecke im Gautinger Bosco. (Foto: Nila Thiel)

Frank Lüdecke mit neuem Programm im Gautinger Bosco

Von Gerhard Summer, Gauting

Das ist schon bitter: Vor fünf Jahren feierte Frank Lüdecke seinen 50. Geburtstag bei den Berliner Wühlmäusen, am Ende blieben zwei ältere Damen sitzen, und die eine sagte zur anderen: "Weißte, was ich am besten fand? Na, seine Brille." Da schreibt der Mann also ein Dreivierteljahr an einem Programm, feilt, macht und tut. "Und was bleibt hängen? Fielmann."

Gut, vielleicht doch ein bisschen mehr. Erste Überraschung: Dieser schlaksige, fast noch jugendlich wirkende Lüdecke sieht aus wie der junge Dieter Hildebrandt, seine Stimme klingt sogar fast so ähnlich. Das war's dann aber auch mit den Parallelen. Denn der Berliner versteht sich zwar ebenfalls aufs altväterliche Sprechkabarett und ist so etwas wie das Gegenstück zu den Vertretern des absurden Monologs wie Rolf Miller oder Andreas Giebel, doch sein Programm "Über die Verhältnisse" hat nicht die politische Sprengkraft und die Besessenheit, die Hildebrandt entwickeln konnte. Lüdecke ist mehr so etwas wie der Pädagoge unter den Kabarettisten. Er setzt weder auf Auslassungen noch auf Andeutungen. Er will verstanden werden. Er sagt: Ministerpräsident Seehofer, "der Ultimaten-Horst", habe gedroht, er werde Dobrindt aus Berlin abziehen, wenn die Bundesregierung nicht ihre Flüchtlingspolitik ändert. Ein Schock, das wäre ja wie "Leipzig ohne die Semper-Oper". Gelächter. Lüdecke schaut ins Publikum und erklärt, na, in München sei das letzthin nicht verstanden worden. Am Anfang gibt er sogar eine Art Gebrauchsanweisung für den Abend im vollbesetzten Gautinger Bosco: "Lachen Sie, wenn Sie etwas lustig finden . . ."

Zweite Überraschung: Der Mann spielt richtig gut Gitarre, seine Zupftechnik ist solide, seine Songs gehen ins Ohr. Mal covert er Leonard Cohen ("Suzanne"), mal Simon & Garfunkel ("The Boxer"). Er singt davon, dass er jetzt öfter greife zum Expander statt zu Kluge Alexander. Lesen ist nämlich Zeitverschwendung, was sich auch daran erkennen lässt, dass so viele Billy-Regale auf Ebay zu haben sind. Mit am feinsten ist seine Version von "In the Year 2525": "Leben dann Menschen noch in Kiel?/ und wie viel?" Ja, die deutsche Bevölkerungspyramide hat die Urnenform.

Dritte Überraschung: Lüdecke gibt sein neues Programm jetzt zum dritten Mal und ist offenbar noch am Experimentieren. Wenn eine Passage ihrem Ende zustrebt, bleibt manchmal unklar, ob das jetzt der geplante Schluss war oder der notgedrungene, weil Lüdecke womöglich ein Teil des Textes entfallen ist. So wirkt "Über die Verhältnisse" streckenweise fahrig, zerklüftet und nicht wie aus einem Guss. Aber trotzdem hat dieser Rundumschlag, der den sozialen Medien genauso wie der unsozialen Politik gilt, seine Stärken, denn Lüdecke ist ein Mann des Wortes. Er sagt: Klar, Kinder sollten Deutsch können, wenn sie in die Schule kommen, er sei aber auch der Meinung, sie sollten "noch Deutsch können, wenn sie die Schule verlassen". Oder: Im Gegensatz zu den USA seien "bei uns die Wahlprognosen schon genauer als das Ergebnis". Lüdecke erzählt, dass amerikanische Touristen gern in Berlin fragen, warum die Nazis Nazis hießen, obwohl der Name doch so einen schlechten Ruf hat? Er spricht davon, dass Meinungsbildung heute fast schon Zeitverlust ist und die klassische Familie längst auf dem Weg zur Whatsapp-Gruppe sei. Dass Twitter für Menschen gemacht ist, die einen "Nebensatz als intellektuelles Hindernis sehen". Dass AfD-Wählen wie "Bauer sucht Frau in real" ist. Und dass Karl-Theodor zu Guttenberg geschockt war, als er sich seine Doktorarbeit anschaute. Er war nämlich der Meinung, er sei Mediziner.

Ja, das sitzt, auch wenn Lüdecke ab und an ein wenig moralinsauer ist. Die Politik, meint er etwa, "übernimmt keine Verantwortung mehr". In der Pause stehen zwei ältere Damen auf dem Raucherbalkon des Bosco. Die eine sagt: "Schlecht ist er nicht". Und die andere: "Nein, schlecht ist er nicht."

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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